Die Anmut der Männer

Ein Band über die Malerin und Autorin Charlotte E. Pauly

  • Monika Melchert
  • Lesedauer: 3 Min.

In den siebziger Jahren konnte man ihr hin und wieder in Fried-richshagen begegnen, wenn sie, die unverwechselbare bestickte Samtkappe auf dem weißen Haar, die Bölschestraße entlanglief. Sie galt uns jungen Leuten damals als ein Original aus alten Zeiten. Die Malerin und Grafikerin Charlotte E. Pauly (1886-1981) hatte sich nach dem Krieg in dem Berliner Vorort angesiedelt, wo Gerhart Hauptmann und der Friedrichs-hagener Dichterkreis Jahrzehnte zuvor ein künstlerisches Zentrum geschaffen hatten. Sie, geboren und aufgewachsen im schlesischen Stampen, war mit dem Sonderzug, der den toten Hauptmann im Juli 1946 aus Agnetendorf nach Deutschland brachte, nach Berlin gekommen. Erst im Alter von 88 Jahren hatte sie endlich ihr eigenes bescheidenes Atelier. Da lag bereits ein langes Leben voller Reisen und Erlebnisse hinter ihr, Grundlage ihres Werkes.

Ein prächtig ausgestatteter Band im Verlag für Berlin-Brandenburg stellt die Künstlerin jetzt in Bildern und Texten umfassend vor. Zum ersten Mal werden hier materialreiche Auszüge aus den Tagebüchern und eine Fülle von Briefzeugnissen Charlotte E. Paulys zugänglich gemacht.

Reisen, Sehen, Aufnehmen, Speichern - Grundübungen ihrer Existenz. Im Fischerort Nazaré an der portugiesischen Atlantikküste hat Charlotte E. Pauly ihr Urerlebnis: Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre lebt sie hier, sieht den Fischern bei ihrer schweren Arbeit zu, zeichnet und fotografiert wie eine Besessene. Im Tagebuch hält sie die »freie Anmut« der Männer fest, die ihr, »im Kampf mit den Elementen stark und mutig geworden«, von beinahe gotischer Gefühlstiefe erscheinen. Ihre Skizzen, die sie oft erst viel später ausführt, sind von solcher Vitalität, dass man sich mit ihr in dieser Landschaft wähnt.

Einmal notiert sie: »Ich wünschte hier oft, Komponist zu sein, um eine neue Sinfonie der Freude zu schaffen.« Komponiert hat sie zwar nicht, aber ihre Bilder gemalt, farbig, hell, kraftvoll, in funkelndem Blau. Seit dieser Zeit hat sie immer auch geschrieben. 1932 führen ausgedehnte Reisen sie dann weiter in den Mittelmeerraum. Sie fährt durch Marokko und Griechenland, Kreta, Libanon, Syrien und Palästina. Tief beeindruckt ist sie von der Wüste. Mal steigt sie im Grandhotel ab, etwa in Teheran, mal nächtigt sie im Zelt, denn das Geld ist oft knapp. Immer ist sie dicht am Erlebten. Später vervollkommnet sie ihre Ausbildung u. a. in Paris und Berlin, kehrt in die Heimat zurück. Während der Zeit des Nationalsozialismus wird ihr allerdings ein Ausstellungs- und teilweise Malverbot auferlegt, der Vorwand sind ihre »Zigeunerbilder«, die sie vor allem auf der Iberischen Halbinsel gemalt hat. In dieser Zeit schreibt sie u. a. ihren Roman »Der Tiger und die Harfe«.

Anita Kühnel, die sich seit Langem mit dem Schaffen Charlotte E. Paulys befasst, gibt in informativen Texten eine Einführung in ihr Leben und Werk. Eine »Weltbürgerin«, wie der Titel des Buches signalisiert, ist Charlotte E. Pauly tatsächlich geworden - eine faszinierende Erscheinung. Seit 1941 siedelt sie sich wieder in Schlesien an. Dort gehört sie zum Freundeskreis von Hauptmann, den sie mehrfach porträtiert. Gegen Kriegsende wandert sie noch einmal durch die Orte ihrer schlesischen Heimat, nimmt alles auf, als spürte sie, dass ein Abschied bevorstehe. Eine ihrer letzten Arbeiten dort ist die bekannte Zeichnung Gerhart Hauptmanns auf dem Totenbett am 6. Juni 1946.

Befreundet mit vielen bildenden Künstlern, so mit dem Malerpaar Ingrid und Dieter Goltzsche, findet Charlotte E. Pauly dann in der DDR späte Anerkennung. Nun wendet sie sich hauptsächlich der Druckgrafik zu. Glück-lich sieht man sie auf Fotos in ihrer Ausstellung im Schloss Köpenick 1975. Vorzügliche Drucke ihrer Ölbilder, Grafiken und Fotos vermitteln einen anschaulichen Eindruck ihres Schaffens. Als Autorin aber, ebenso wichtig, kann man sie hier erstmals entdecken.

Ein schlesisches Fräulein wird Weltbürgerin. Die Malerin und Schriftstellerin Charlotte E. Pauly in Selbstzeugnisse. Hg. von Anita Kühnel. Verlag für Berlin-Brandenburg, 80 Abb., 280 S., geb., 22,95 €.

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