10 Tage Chef

Anneliese Scherzer ist für kurze Zeit Stadtoberhaupt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 2 Min.

So leicht kann man Bürgermeister werden, ohne Wahlkampf und ohne jegliche Abstimmung. Anneliese Scherzer schaffte es in der Stadt Lauter-Bernsbach auf den Chefsessel im Rathaus einfach deshalb, weil sie die Älteste ist - zumindest im Gemeinderat. Mit ihren 77 Jahren kann kein anderer der 32 Räte konkurrieren. Also muss Anneliese Scherzer von der LINKEN ran - sagt Sachsens Gemeindeordnung.

Das Gesetzeswerk trifft für viele Fälle Vorsorge, auch für einen kuriosen wie in Lauter-Bernsbach. Die Stadt im Erzgebirge gibt es seit 1. Januar, weil die Gemeinden Lauter und Bernsbach fusionierten. Der neue Stadtrat konstituiert sich indes erst am 10. Januar und wählt dann einen Amtsverweser, der amtiert, bis die Bürger einen regulären Rathauschef küren. So lange, wie es noch nicht mal den Amtsverweser gibt, führt aber die Älteste im Rat die Geschäfte.

Und die fordern ihre Frau. Zwar überlasse sie wichtige notarielle Entscheidungen ihrem Nachfolger, sagt die Kurzzeit-Rathauschefin. Gilt es aber eine Gewerbegenehmigung abzuzeichnen, »muss ich ran«. Ansonsten ist täglich die Post zu erledigen und die konstituierende Sitzung vorzubereiten: »Ich sitze nicht auf meinem Stuhl und drehe Däumchen«, sagte Scherzer dem »nd«. Am Samstag war sie bis zum Nachmittag unterwegs, um den Jubilaren, die 80 Jahre oder älter werden, zum Geburtstag zu gratulieren: »Langweilig wird mir ganz bestimmt nicht.«

Über zu viel Freizeit kann sich Scherzer freilich auch sonst nicht beklagen: Als Ehrenamtliche führt die sie Finanzen der LINKEN in Aue, sitzt in zahlreichen Gremien und ist zudem Chefin eines Stenografenvereins, der bundesweites Renommee genießt. Allerdings: Um acht in einem Büro sein wie jetzt als Gemeindeoberhaupt muss sie eigentlich sonst nicht mehr.

Ab Freitag ist es mit dem Trubel, den überraschend viele Journalistenanfragen noch steigerten, aber vorbei. Dann ist Anneliese Scherzer wieder einfaches Ratsmitglied - wie fast ständig seit den 1960er Jahren. Bis 2014 will sie die Geschicke in Lauter-Bernsbach noch mitlenken, dann tritt sie nicht mehr an: »Mit 79 muss man den Mut haben und sagen: Jetzt ist es genug.«

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