Tradition und Solidargedanke verhindern nicht hohe Mieten

Wohnungsbaugenossenschaften sind gegen die Bedingungen des Wohnungsmarktes machtlos

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.
Im UNO-Jahr der Genossenschaften 2012 wurde deutlich, dass alle, auch die Bundesregierung, voll des Lobs sind für diese Unternehmensform – logisch, denn es handelt sich dabei erstens um Privatinitiativen, die zweitens Lücken, die Politik und Gesellschaft lassen, schließen können. Im Bereich Wohnen können Genossenschaften sinnvoll sein, und sei es nur indirekt über die damit verbundenen Modelle und Ideale. Genossenschaften können also kulturelle Bereicherung und ökonomische Entlastungen bringen. Garantiert ist das aber nicht, wie an den Wohnungsbaugenossenschaften ersichtlich wird.

Wohnungsbaugenossenschaften haben in Deutschland eine lange Tradition. Bereits 1867 erließ Preußen ein erstes Genossenschaftsgesetz. Heute gibt es in Deutschland über 2000 derartige Gesellschaften. Sie verwalten über zwei Millionen Wohnungen und haben mehr als drei Millionen Mitglieder. »Das Angebot der Wohnungsbaugenossenschaften ist einzigartig: Sie bieten zeitgemäßen Wohnraum zu fairen Preisen, ihre Mieter und Mitglieder genießen lebenslanges Wohnrecht und können aktiv mitbestimmen«, heißt es in der Selbstdarstellung des größten Dachverbandes »Die Wohnungsbaugenossenschaften«.

Doch in vielen Genossenschaften ist von diesen hehren Zielen nur noch wenig übrig geblieben. »Anpassungen an steigende Mietspiegelwerte, Mietsteigerungen durch Modernisierungen und Neuvermietungen sowie der Neubau teurer Wohnungen sind auch in den Genossenschaften tägliche Praxis«, konstatierte längst die Initiative »Genossenschaft von unten«, in der sich Mitglieder Berliner Wohnungsbaugenossenschaften zusammengeschlossen haben. Der Solidargedanke sei längst in Frage gestellt, die Mitbestimmung der Basis durch den 2006 geänderten Paragrafen 27 des Genossenschaftsgesetzes, wonach der Vorstand die Genossenschaft in eigener Verantwortung leitet, weitgehend ausgehebelt. Auch mit dem lebenslangen Wohnrecht ist es nicht weit her. Wer in wirtschaftliche Not gerät und dadurch Mietrückstände hat, kann in Genossenschaften mittels Ausschluss ebenso aus seiner Wohnung geworfen werden, wie es bei privaten Vermietern üblich ist.

Angesichts der immer dramatischeren Wohnungsknappheit in vielen Ballungsräumen sollen Genossenschaften nach dem Willen vieler Kommunen und Bundesländer eine wichtige Rolle bei der Schaffung neuen Wohnraums einnehmen. Förderinstrumente sind dabei in erster Linie zinsverbilligte Kredite und die bevorzugte Vergabe von Liegenschaften. Doch gerade im unteren Preissegment, welches in Städten wie Berlin mit seinem hohen Anteil an ALG-2-Beziehenden und Geringverdienenden besonders stark nachgefragt ist, wird dies kaum zur Entspannung auf dem Wohnungsmarkt beitragen. Frank Schrecker, Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft Berolina und Sprecher der Berliner Sektion des Dachverbandes, bezeichnete es vor einigen Monaten in der Berliner Tageszeitung »Tagesspiegel« als »Augenwischerei«, in innerstädtischen Gebieten Neubauten mit Nettokaltmieten von 6,50 Euro realisieren zu können, wie es die Politik fordere. Zudem würde selbst diese Kaltmiete viele Wohnungssuchende von vornherein ausschließen. Ohnehin sei Neubau zwar nötig, aber »nicht der Heilsbringer, mit dem wir die sozialen Probleme lösen können«.

Dies wird auch deutlich bei einer Gewinnerin des genossenschaftlichen Neubauwettbewerbs 2012, den die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Bauen ausgeschrieben hatte. Zu den Preisträgern gehört die »Möckernkiez eG«, die im Stadtteil Kreuzberg auf einem Brachgelände am Rand des Gleisdreieck-Parks eine »gemeinschaftliche und Generationen verbindende Wohnanlage, die ökologisch nachhaltig, barrierefrei, interkulturell und sozial integrativ ist«, errichten will. 1000 Menschen sollen dort ab Ende 2014 rund 450 Wohnungen beziehen. Allerdings müssen die künftigen Nutzer einen Eigenanteil in Höhe von 600 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche einbringen, die Warmmiete soll zehn Euro betragen. »Sozial integrativ« klingt das nicht gerade.

Sicherlich könnten Genossenschaften besonders beim Altbestand durch moderate Mietpreisgestaltung einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung der drohenden Wohnungsnot leisten. Doch ohne staatliche Interventionen beim Mieterschutz und bei den Mietobergrenzen bliebe das ein Tropfen auf den heißen Stein. Und eine ausreichende Anzahl von Neubauten in Ballungszentren, die auch für Geringverdiener erschwinglich wären, ist ohne den massiven Einsatz öffentlicher Mittel schlicht unrealistisch.

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