nd-aktuell.de / 11.01.2013 / Politik / Seite 8

Farce oder Chance?

Roman Huber
Der Autor ist Geschäftsführender Vorstand des in Berlin ansässigen überparteilichen, gemeinnützigen Vereins Mehr Demokratie.
Der Autor ist Geschäftsführender Vorstand des in Berlin ansässigen überparteilichen, gemeinnützigen Vereins Mehr Demokratie.

2013 soll das »Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger« sein, so hat es die EU-Kommission ausgerufen. Geplant sind Diskussionen, Konsultationen, Konferenzen. Ohne »Dialog« geht es nicht mehr, diese Erkenntnis hat sich mittlerweile durchgesetzt. Doch für die Bürger wird ein solcher Dialog nur dann spannend, wenn er in greifbare Ergebnisse mündet. Davon ist momentan wenig zu spüren. Die Exekutiven und nicht die Parlamente gestalten die Weiterentwicklung der EU: Regierungschefs, Präsidenten und Kommissare, Gouverneure und Direktoren, flankiert von Agenturen und Expertengremien, der Verwaltung und dem IWF, einem Heer von Interessenvertretern. Wie kann so ein bürgernahes Europa entstehen?

Die Bürger werden sich nur dann wieder mit der Idee Europas verbinden, wenn sie selbst darüber verbindlich entscheiden können. 71 Prozent der Deutschen verlangen laut ZDF-Politbarometer von September 2012 eine Volksabstimmung, wenn weitere Zuständigkeiten auf die EU-Ebene verlagert werden.

Ja, wir brauchen dringend Volksentscheide über Europafragen. Sie sind eine Chance und keine lästige Pflicht. Der erste Schritt sind verbindliche Referenden, die bei Souveränitätsabgaben an die EU stattfinden müssen. Im zweiten Schritt sollen die Bürger auch selbst Gesetzesvorschläge vorlegen und verbindliche Volksabstimmungen darüber herbeiführen können. Mithilfe der Europäischen Bürgerinitiative können Menschen immerhin schon Themen auf die Agenda der EU-Kommission setzen. Das Recht, über wichtige Themen auch zu entschieden, muss noch ergänzt werden.

Zusätzlich zu Volksentscheiden wollen wir gemeinsam ein stimmiges Gesamtkonzept für die EU erarbeiten. Mehr Demokratie hat in den vergangenen Jahren die Idee eines Bürgerkonvents entwickelt: Er wird direkt von den europäischen Bürgern gewählt und tagt öffentlich. Bürger können während des Beratungszeitraums Vorschläge unterbreiten, vorausgesetzt diese wurden von 100 000 Menschen unterzeichnet. Der Konvent muss ergebnisoffen und mit ausreichend Zeit tagen und Abstimmungsalternativen erarbeiten dürfen. Die Vorschläge würden in allen Mitgliedsstaaten zeitgleich zur Abstimmung vorgelegt.

Artikel 48 der europäischen Verträge enthält bereits die Verpflichtung, bei ordentlichen Vertragsveränderungen einen Konvent abzuhalten. Dieser müsste deutlich demokratischer gestaltet werden. Als Ergebnis ist ein einheitlicher europäischer Vertrag ebenso denkbar wie ein Europa der Regionen und unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Mit den alten Konzepten und der Rückverlagerung von Kompetenzen auf die Nationalstaaten kommen wir nicht weiter. Doch auch der Trend, immer mehr Kompetenzen von den schon zunehmend undemokratischen Nationalstaaten auf die noch weniger demokratische Ebene der EU zu verlagern, vergrößert die Demokratieprobleme: Die geringere Kontrolle der Macht, der Lobbyeinfluss, die Dominanz der Exekutive. Dazu kommt das Problem aller großen politischen Einheiten mit Zentralgewalt: Die Peripherien verkümmern und heterogenen Lebensrealitäten werden zentralistische Lösungen übergestülpt.

Wenn jetzt nicht die Bürger ernsthaft eingebunden werden, fliegt uns die EU bald um die Ohren - da hilft dann auch kein Dialog mehr. Ein demokratischer Konvent ist nur eine Idee, um diese schwierige Aufgabe zu meistern. Erst wenn die Impulse für die Zukunft der EU nicht mehr allein von den Exekutiven, sondern auch von unten - von den Parlamenten und den Menschen in den Mitgliedsstaaten - ausgehen, können wir das heutige Europa der Banken und Konzerne (ver-)wandeln in viele »europäische Jahre der Bürgerinnen und Bürger«.