Staatsakt in der Schloss-Attrappe

Am Freitag wird in Hannover die wieder aufgebaute Welfenresidenz Herrenhausen eröffnet

  • Christina Sticht, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Um den Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Schlosses Herrenhausen in Hannover gab es jahrzehntelang Diskussionen. Jetzt eröffnet ein modernes Tagungszentrum hinter der rekonstruierten historischen Fassade. Kritiker sprechen von einer verzichtbaren Schloss-Attrappe.

Hannover. Fast 70 Jahre lang klaffte im berühmten Barockgarten der niedersächsischen Hauptstadt Hannover eine große Lücke. Lange erschien es unwahrscheinlich, dass das 1943 zerbombte Schloss Herrenhausen jemals wieder aufgebaut würde. Vor gut fünf Jahren dann entschied sich die Volkswagenstiftung als privater Investor, die Welfenresidenz für 20 Millionen Euro zu rekonstruieren. Hinter einer Fassade im historischen Stil entstand ein modernes Kongresszentrum.

Unterirdischer Hörsaal

Am 18. Januar wird das Schloss eröffnet - die Aufgabe teilen sich zwei Tage vor der Landtagswahl voraussichtlich Ministerpräsident David McAllister (CDU) und sein SPD-Herausforderer, Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil.

Die Hauptattraktion bleibt der Garten: Vom großen Saal aus öffnet sich der Blick auf die weitläufige Barockanlage mit Wasserspielen, Statuen, kunstvoll angelegten Beeten, Rasenflächen und Hecken. Die größte Herausforderung für die beauftragte Hamburger Architektenbüros war es, den Baukörper nach den Plänen von Hofbaumeister Georg Ludwig Friedrich Laves von 1819 mit den Anforderungen an ein modernes Tagungszentrum in Einklang zu bringen. So verschwinden beispielsweise Leinwände und Technik hinter mobilen Wänden. Ein Clou ist ein von Lichthöfen umgebener unterirdischer Hörsaal inklusive Dolmetscher-Kabinen.

Das Schloss werde den Wissenschaftsstandort Hannover entscheidend stärken, verspricht der Generalsekretär der Volkswagenstiftung, Wilhelm Krull. Daneben gebe es positive touristische Effekte. An rund 100 Tagen im Jahr will die größte deutsche private Förderinstitution das Schloss selbst als Veranstaltungsort nutzen. Pächter ist das Unternehmen Hochtief Solution aus Essen, das die Residenz für Veranstaltungen vermarktet. »Die Nachfrage ist extrem hoch.

Platz für Landesschau

»In der Region ist die Bedeutung des Schlosses vergleichbar mit der wiederaufgebauten Frauenkirche in Dresden«, sagt Matthias Felten, Pressesprecher von Hochtief Solution. »Wir möchten, dass das Schloss Teil des städtischen Lebens wird.« So soll es beispielsweise Kulturveranstaltungen und Tage der Offenen Tür geben.

Im Frühjahr werden die Seitenflügel als Museum eröffnet. In einer ersten Schau soll es um die Welfen im Barock und die Barockkultur gehen. 2014 ist das Schloss dann ein Schauplatz der großen Landesausstellung »Hannovers Herrscher auf Englands Thron«. Später wird dem Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz ein Flügel gewidmet.

Schloss-Attrappe nennen Kritiker den Bau. »Ich hätte mir gewünscht, auf den Wiederaufbau zu verzichten und stattdessen die Lücke, die der Krieg gerissen hat, kenntlich zu machen«, sagt der Stadtbau-Historiker Sid Auffarth. Bei der Gestaltung des neuen Schlosses Herrenhausen sei verpasst worden, den Besuchern einen Einblick in das höfische Leben der Barockzeit zu geben. »Das Wissenschaftszentrum in exquisiter Lage ist für Hannover allerdings ein Gewinn«, räumt der Autor zahlreicher Werke zur Stadtgeschichte ein.

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