Nazis an den Stadtrand verdrängt

Tausende protestieren in Magdeburg gegen rechten Aufmarsch

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Massive Proteste haben einen rechten Aufmarsch in Magdeburg auf eine geänderte Route gezwungen. Blockiert werden konnte der Aufzug aber nicht. Die Polizei schikanierte Nazigegner.
Gespielt wird die äußerst beschwingte Annen-Polka: Ein kleines Orchester mit Geigen, Klarinette und Blechbläsern musiziert am Rand einer Straße im Magdeburger Elbauenpark. Daneben sitzen und stehen bei klirrender Kälte rund 200 Menschen auf Bahngleisen und der Fahrbahn. Seit dem Samstag morgen harren sie aus, um die vermutete Route eines rechten Aufmarschs zu blockieren. Einen Kilometer weiter sind es sogar rund 1000 Menschen, die eine große Kreuzung besetzt halten.

Magdeburg erlebt an diesem Samstag ein düsteres Spektakel. Wie schon seit Jahren, versucht die rechtsextreme Szene, das Gedenken an die Zerstörung der Stadt am 16. Januar 1945 zu vereinnahmen. Lange stand der Marsch, an dem regelmäßig über 1000 Nazis teilnahmen, im Schatten des Ereignisses vier Wochen später in Dresden, das als eines der größten Treffen der rechten Szene in Europa galt. Zuletzt aber hatten Blockaden den Nazis dort zunehmend den Schneid abgekauft. Die könnten, so war vermutet worden, deshalb verstärkt nach Magdeburg mobilisieren. Gewarnt wurde vor bis zu 2500 Rechtsextremen.

Die Zahl stammte vom Bündnis „Magdeburg nazifrei!", das sich 2012 gegründet hatte und die in Dresden erfolgreiche Strategie auch in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt praktizieren wollte. Auf diese Initiative hin sammelten sich die Nazigegner auf den Straßen im Stadtteil Cracau. Dort, so hatte sich angedeutet, sollten die Nazis laufen dürfen: Angemeldete Proteste waren verboten worden. Allerdings störten Gerichte diese Strategie von Stadt und Polizei, die eine ebenfalls aus Dresden bekannte Strategie anwenden und die beiden Lager durch die Elbe hatten trennen wollen. Die Richter indes erlaubten die Proteste am Elbauenpark.

Dass Demonstranten dort in derart großer Zahl Straßen und Kreuzungen versperrten, ist für Magdeburg eine neue Entwicklung. Bisher hatte sich die Stadt vor allem mit einer „Meile der Demokratie" gegen die braune Vereinnahmung gewehrt. Diese fand am Samstag erneut und damit zum fünften Mal zwischen Landtag und Rathaus statt: mit Ständen von Vereinen und Initiativen, Parteien und Gewerkschaften. Die bunte Veranstaltung sei ein Signal, dass „die Stadt den Bürgern gehört und nicht den Nazis", sagte CDU-Landtagspräsident Detlef Gürth. Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) ergänzte, es seien „99 Prozent der Magdeburger in Gedanken gegen" die Nazis. Er räumte aber ein, „aus verschiedenen Gründen" seien nicht alle auf der Meile.

Selbst wenn sie es gewesen wären: Um die Braunen wirklich zu beeinträchtigen, sei das eine „untaugliche Aktion", wie es beim Nazifrei-Bündnis heißt. Auch LINKE und Grüne, die beide die Meile unterstützen, riefen diesmal zu Blockaden auf, um wirksameren Widerstand leisten zu können. LINKE-Landeschefin Birke Bull äußerte sich allerdings schwer enttäuscht, dass die SPD sich nicht anschloss, sondern die Blockaden teilweise sogar diskreditierte. Trümper etwa sagte, er habe zwar Sympathie für zivilen Widerstand, aber „es hat alles seine Grenzen".

Über 2000 Menschen sahen das anders – konnten den Aufmarsch der Nazis aber auch nicht verhindern. Dieser wurde kurzerhand in den Süden der Stadt verlegt. Die nur 900 Braunen marschierten, von einem Großaufgebot der Polizei abgeschirmt, an Industriebrachen vorbei in den Stadtteil Salbke. Ein Redner räumte ein, die Verlegung sei ärgerlich: Man wäre „lieber an der ehemaligen Hindenburgkaserne" aufmarschiert, also am Elbauenpark. Allerdings wurde dem Zug, den Freie Kräfte aus Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Dortmund formten, eine Kundgebung vor dem antifaschistischen Libertären Zentrum (LiZ) gestattet – was für Empörung sorgte: David Begrich vom Verein „Miteinander" nannte das eine „Provokation" und warf der Polizei vor, den Rechten einen unnötigen „Terraingewinn" ermöglicht zu haben.

Auch andere Aktionen der Polizei sorgten für Kritik. Diese kesselte Hunderte Antifaschisten, die auf dem Weg in den Magdeburger Süden waren, über Stunden im Stadtzentrum ein und sorgte durch wiederholte Festnahmen für eine zunehmend gereizte Stimmung. Nachdem die Demonstranten zum Hauptbahnhof ausgewichen und dort erneut auf ein massives Aufgebot der Polizei getroffen waren, flogen Steine; die Beamten griffen umgehend hart durch, wobei es Verletzte gab. Die Nazis waren zu diesem Zeitpunkt bereits wieder in ihre Züge gestiegen.
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