»Brenne!«, doch verbrenne nicht

Ein Spiel um Selbstbestimmung im Ballhaus Ost

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwei Frauen begeben sich auf einen Feldzug durch die Dramenlandschaft und streifen andere Literatur. Doch nicht wie üblich bei kampflustigen Unternehmungen stellt sich Kollateralschaden ein. Vielmehr kommt es zu Verlusten bei scheinbar heldenhaft Handelnden, die für Großes entflammt sind. Fremdbestimmung und Selbstbestimmung stehen sich feindlich gegenüber.

Als tragisch Dargestellte sind diese Heldinnen hinlänglich bekannt, die Anne Schneider (Regie) und Gina Henkel (Spiel) für ihr Stück »Brenne!« auswählten. Hier geraten sie in den Kontext einer (inneren) Heiterkeit, die durchaus provoziert. Stärke wie Schwäche der Heldinnen rutschen damit meistens ins Komische. Verletzt wird ihre Würde dadurch nicht. Der Schaden lauert auf anderer Seite.

»Die Jungfrau von Orleans« von Schiller, »Die heilige Johanna« von Shaw und »Jeanne oder die Lerche« von Jean Anouilh passieren ansatzweise Revue - das Wissen um ihre Geschichte und um die Gemeinsamkeit der Werke voraussetzend. In dem Glauben, ihrer Bestimmung folgen zu müssen, sind diese Heldinnen ohne Eitelkeit. Stolz und ihre Ängste besiegend gehen sie ihren Weg bis zum bitteren Ende. Sie folgen Irrglaube oder fremder Stimme und werden - für ihre vermeintliche Aufgabe entbrannt - schlichtweg verheizt.

Schade um jeden Mann. Es erweise sich als durchaus zweckmäßig, Frauen für die Allgemeinheit sterben zu lassen, heißt es. Das Volk wäre auch gekommen, um sie zu bejubeln. Aber wenn nun mal jemand öffentlich verbrannt wird, müsse man sich als Zuschauer schon einen guten Platz sichern.

»Wir leben, wie wir glauben, leben zu müssen ...« singt Gina Henkel, unterstützt von den Musikern Christian Wisch und Stephan Zunhammer. Und es wird bei diesem einstündigen Theaterstück (Bühne und Kostüm: Anna Bergemann) keineswegs nur geopfert. Was man als Erfolgsrüstzeug so braucht, kommt zur Sprache. Berufsstrategische Tricks werden aus Gedrucktem zitiert, über die Kulturgeschichte der Schauspielerin an sich wird reflektiert, Ratschläge für Bewerbung, Karriere und Selbstvermarktung werden angebracht. Auch der Machiavelli für Frauen erweist sich als dienlich. Denn es geht auch anders, zeigt die 60-minütige Inszenierung im Ballhaus Ost, die aus gutem Grund den Untertitel trägt »Men don't protect you anymore«.

Für anderes Handeln, bei dem »Sie« sich besser auf sich selbst verlässt, fanden Schneider und Henkel als Beispiel Ingrid Bergman, eine der bedeutendsten Schauspielerinnen der Filmgeschichte. Man werde einiges an ihr korrigieren müssen, damit sie in Hollywood zu gebrauchen sei - männliche Argumente. Bergman: Nichts werde sie ändern. Man solle sich nicht daran aufhalten, an ihren Augenbrauen oder ihrem Namen herumzukritisieren. Auch nütze ihr wenig, wenn man ihr Filmstudios schenke. Was sie brauche, das seien gute Drehbuchschreiber und noch bessere Regisseure, dann sei sie auch bereit, für den Film zu entbrennen.

Ohne Pathos spielt Gina Henkel diese entschlossene Selbstbestimmung. Klar, so geht es. Bewundernswert. Selbstverständlich tut sich die Frage auf, welche Schauspielerin sich heute die Bergmansche Strategie in welchem Maße mutig leisten will und kann.

Eine andere Frage in größerer Dimension eröffnet sich durch die gedankliche Vorarbeit der Theatermacherinnen. Und zwar angesichts der Tatsache, dass Studien jährlich warnend darauf aufmerksam machen, wie sich das Burn-out-Syndrom in der Gesellschaft ausbreitet. Wie die Pest. Man konstatiert es, als sei Bevölkerung Brennstoff. Abgesehen davon, dass sich mit dem »Entfachen« der im besten Falle erneuerbaren Energie bei den Ausgebrannten gutes Geld verdienen lässt, ist doch wohl auch hier längst die Forderung nach besseren »Drehbuchschreibern und Regisseuren« angemessen. Des Mutes dafür bedarf es natürlich.

Nächste Vorstellungen: 17., 19., 20.1., 20 Uhr, Ballhaus Ost, Pappelallee 15, Prenzlauer Berg, Tel.: 47 99 74 74

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