Antisemiten?

ANNOTIERT

  • Andreas Diers
  • Lesedauer: 2 Min.

Ein Merkmal des »JahrBuchs für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung« ist es, an vergessene Aktivisten und Aktivistinnen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung zu erinnern und dabei auch einstige Tabus aufzubrechen. Ein Musterbeispiel hierfür ist der Beitrag von Andreas Morgenstern in der jüngsten Nummer zur Frage, ob die »Sozialistischen Monatshefte« ein Sprachrohr des Arbeiterzionismus gewesen seien. Zwar war die deutsche Sozialdemokratie Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts ein ganz entschiedener Gegner des sich ausbreitenden Antisemitismus, sie hatte dennoch - wie Morgensternbelegt - viel zu wenig Verständnis für die besonderen Problemlagen der Juden, vor allem in Osteuropa. Anders als die übrige sozialdemokratische Presse haben die »Sozialistischen Monatshefte« - und das war ihr größter Verdienst - ihre Leser und Leserinnen auf die schlimme soziale und gesellschaftliche Lage des Ostjudentums aufmerksam gemacht. Angemerkt sei hier jedoch, dass die politischen Konzeptionen einiger Protagonisten des Zionismus doch kritischer gesehen werden sollten, als dies der Autor tut.

Auf antisemitische Ausfälle führender Repräsentanten der britischen Arbeiterbewegung geht Jörn Wegner ein. Dazu gehörte der bereits von Friedrich Engels und Eduard Bernstein scharf kritisierte Vorsitzende der Social Democratic Federation, Henry Hyndman. Wegner zeigt, wie sich verkürzte antiimperialistische Denkmuster mit antisemitischen Vorurteilen vermengten. Zugleich betont er, dass die britische Arbeiterbewegung mehrheitlich nicht antisemitisch war.

Beeindruckend sind die von Kasper Braskén vorgetragenen neuen Fakten über Willi Münzenberg und die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) 1921 bis 1933. Betroffen macht, was Cristiana Fischer über die 1991 in fast vollständiger Vergessenheit gestorbene Charlotte Behrends und deren Kartei der zum Tode verurteilten Frauen aus dem Berliner Frauengefängnis Barnimstraße berichtet. Erschütternd sind ebenfalls die biografischen Skizzen über die sorbische Sozialistin Maria Grollmuß (1896-1944) von Gerhard Schäfer), die Austromarxistin Tatiana Grigorovici (1877-1952) von Horst Klein sowie über die Tänzerin Johanna Berger (1919-1962) von Gisela Notz.

JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 2012/III. 226 S., br., 10 €, zu beziehen auch direkt über die Redaktion, Weydingerstr. 14-16, 10178 Berlin.

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