Harmonie im Festungsgraben

Streitobjekt Immobilie: Singakademie und Gorki Theater verhandeln über weitere Nutzung des Gebäudes

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum Jahresende war Berlin in heller Aufregung. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte mit einem überraschenden Urteil nicht nur dem Einspruch der Sing-Akademie zu Berlin gegen eine Entscheidung des Berliner Kammergerichts stattgegeben. Er hatte auch gleich durchentschieden, dass das Stammhaus der Sing-Akademie, in dem sich derzeit das Maxim Gorki Theater befindet, wieder in den Besitz der ursprünglichen Eigner übergeht. Die Enteignung zu DDR-Zeiten wurde als ungültig angesehen. Der Besitzerwechsel ließ Ängste um die Zukunft des Gorki Theaters in die Höhe schnellen.

Georg Graf zu Castell-Castell, Vorsitzender der Sing-Akademie - und laut Eintrag auf der Homepage als Mitglied eines alten fränkischen Adelsgeschlechts sowohl Eigner von Weinbergen wie einer Privatbank als auch als Protestant im katholischen Bayern an Minderheitenpositionen gewöhnt - weiß aber wirkungsvoll zu beruhigen. »Wir wollen an der jetzigen Nutzung gar nicht rühren und keinesfalls das Theater vertreiben oder seine Existenz in Frage stellen«, sagte er »nd«. Freude über den für ihn glücklichen Ausgang des Rechtsstreits mag er nicht verhehlen, aber »Triumphgeheul liegt uns fern«, versichert er. Castell bezeichnet die Sing-Akademie, die, 1791 gegründet, den Ursprung des bürgerlichen Chorwesens darstellt, als eine »Sängerrepublik«, die sich ganz der Musik widme und eben nicht gewinnorientiert sei.

Künstlerisch gab es im letzten Jahr bereits eine Kooperation. Zum Abschluss des Kleist-Festivals stand der große Chor auf der Bühne. »Wir haben uns über die Einladung gefreut. Wir wollen eine Zusammenarbeit aber nicht erzwingen«, meint Castell. Es liege ihm fern, sich vertraglich ein Nutzungsrecht zu verschaffen, so wie dies etwa Rolf Hochhuth im Fall des Berliner Ensembles gelang. Solch ein Konfliktpotenzial ist hier also nicht zu erwarten. Ein gutes Verhältnis zu den neuen Hausherren bestätigt das Maxim Gorki Theater. »Noch am Tag des Entscheids hat die Sing-Akademie bei uns angerufen und uns versichert, dass das Theater nicht gefährdet sei«, erzählt die Sprecherin des Theaters, Claudia Nola, »nd«.

Auch der Kultursenat geht von diesem Sachstand aus. Zwar hat Kulturstaatssekretär André Schmitz die Entscheidung des BGH bedauert. Sein Sprecher Günter Kolodziej ist aber überzeugt: »Die Zukunft des Gorki ist gesichert. Sein Betrieb wird durch das Urteil nicht berührt. Die Sing-Akademie hat deutlich gemacht, dass es keine Änderungen geben wird.«

Konsequenzen wird die Änderung des Grundbucheintrags - die in den nächsten Tagen erfolgen soll - dennoch mit sich bringen. Die Sing-Akademie möchte in Zukunft einen Pachtzins für die Nutzung des Gebäudes erhalten. Wie hoch der sein wird, ist Verhandlungssache. Bisher zahlt das Maxim Gorki Theater ca. 900 000 Euro jährlich an die Berliner Immobilien Management GmbH (BIM), die im Auftrag des Landes das Gebäude verwaltet. »Das ist für uns ein Durchlaufposten. In ihm sind die Miete und auch Leistungen für den baulichen Unterhalt enthalten«, sagt die Gorki-Sprecherin »nd«. Wie hoch der eigentliche Mietanteil ist, vermochten aber weder sie noch die BIM selbst zu sagen.

Falls die Sing-Akademie einen höheren Mietzins fordert, soll dies nicht zulasten des Theaters gehen, versichert Senatssprecher Kolodziej. Woher womöglich benötigte zusätzliche Gelder kommen sollen, konnte er nicht sagen. Ob es dazu kommt, ist allerdings auch fraglich. In die Verhandlungen, die in den kommenden Wochen beginnen sollen, kann die Senatsverwaltung als Pfund die bisherigen Rekonstruktionsleistungen des Landes einbringen. Im Jahr 2000 wurde eine Komplettsanierung für damals 10 Millionen DM vorgenommen - und der Kosten- und Zeitrahmen übrigens weitgehend eingehalten. »Es muss geklärt werden, wie solche bisher vom Land gebrachte Leistungen verrechnet werden«, fordert Kolodziej. Eine solche Klärung strebt auch Castell an. Über Details wollten sich die Verhandlungsparteien nicht äußern.

Eine verdeckte öffentliche Finanzierung der Aktivitäten der Sing-Akademie - etwa vier große Oratorien jährlich und zahlreiche kleinere Formate, auch mit zeitgenössischen Komponisten - strebt Castell nicht an. »Wir haben uns entschieden, unsere künstlerische Arbeit ohne jede öffentliche Unterstützung zu machen und uns unsere Freiheit zu erhalten«, sagt er mit hörbarem Stolz auf die bürgerlichen Traditionen der Einrichtung. Als selig machendes Modell der Kulturfinanzierung angesichts klammer öffentlicher Kassen will er die Sing-Akademie aber nicht hingestellt wissen. »Das funktioniert für uns. Andere müssen für sich die Entscheidungen treffen.«

Allem ersten Unken zum Trotz hat der Eigentümerwechsel am Festungsgraben vielleicht sogar mehr positive Effekte. Ein juristischer Streitfall ist geklärt. Die Zukunft eines Kulturstandorts im Stadtzentrum scheint mittelfristig gesichert. Und die künstlerisch durchaus ambitionierte Sing-Akademie erfährt plötzlich ganz neue Aufmerksamkeit.

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