nd-aktuell.de / 19.01.2013 / Politik / Seite 4

Nicht nur Einzelfälle

Krankenkassen berichten von 53 000 Betrugsversuchen in zwei Jahren

Ulrike Henning
Das Gesundheitswesen in der Bundesrepublik ist ein Riesengeschäft. Betrügereien sind da an der Tagesordnung, wie jetzt herauskam.

170 »Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen« unterhalten die Krankenkassen. Im vergangenen Herbst lieferte deren Spitzenverband eine erste Bestandsaufnahme der an diese Einrichtungen gemeldeten Betrugsfälle. Der Bericht liegt bereits einige Monate im Gesundheitsministerium, gelangte aber in dieser Woche an die Öffentlichkeit. Danach wurden in den Jahren 2010 und 2011 fast 53 000 Betrugsfälle vermerkt.

Die Meldung ist anonym im Internet möglich, es müssen aber konkrete Angaben zu Tatbestand, Ort und Verdächtigen gemacht werden. Es handelt sich vor allem um Ärzte, Apotheker, Kliniken, Sanitätshäuser, die bei den Kassen Leistungen falsch abrechneten. In dem Bericht zählt jede einzelne betrügerische Abrechnung als Fall, auch wenn einzelne Täter mehrfach aktiv waren.

In 2600 Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft, die Kassen setzten bereits Schadensersatzforderungen von 41 Millionen Euro durch. Nach Zeitungsberichten führt das Bundeskriminalamt in seiner Statistik 2011 aber nur 2876 Fälle von Abrechnungsbetrug und registrierte Schäden in Höhe von 31,4 Millionen Euro. Angesichts von jährlichen Gesamtausgaben der Kassen von 180 Milliarden Euro erscheinen diese Schäden überschaubar. Insofern bewertete Gernot Kiefer vom GKV-Spitzenverband die Betrügereien nicht als Massenphänomen, aber eben auch nicht als »zu vernachlässigende Einzelfälle.«

Die Spitze des Eisbergs

Betrug scheint überall dort möglich, wo mehr und teurere Leistungen abgerechnet werden, als de facto geliefert wurden. Kassenpatienten erhalten bis heute nur im Ausnahmefall eine Rechnung über ihre Untersuchungen. Die von Staatsanwaltschaften untersuchten Fälle sind offenbar nur die Spitze eines Eisberges. Spektakulär erscheint der Fall eines Hamburger Radiologen, der an zehn Standorten - von Hamburg bis Dubai - Praxen und Kliniken betrieb. Nun wird dem mittlerweile abgetauchten Unternehmer vorgeworfen, die Kassen um 20 Millionen Euro betrogen zu haben.

Die Betrugsbekämpfung erfolgt durch die Kassen, durch die Ärzte selbst per Standesrecht über ihre Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sowie durch die Staatsanwaltschaften. Allerdings schalten die KVen nur in wenigen Fällen selbst Staatsanwaltschaften ein, in Bayern geschah das 2011 in 40 von 270 Verdachtsmeldungen. Ärzte haben seitens der KVen auch höchstens mit einer Geldstrafe von maximal 10 000 Euro zu rechnen. Andererseits stellen Staatsanwaltschaften viele Fälle ein, da sich die Kassenärzte nur gegenseitig schädigen würden. Entsprechende Schwerpunktstaatsanwaltschaften existieren nur in Hessen und Thüringen, spezialisierte Kommissariate der Kripo in einigen weiteren Bundesländern, darunter Berlin und Brandenburg.

Weiterhin fern jeder befriedigenden Lösung ist die Frage juristischer Sanktionen im Fall von korrupten Ärzten. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sprach zwar auch hier von Handlungsbedarf, die Prüfung entsprechender gesetzlicher Schritte brauche allerdings noch Zeit.