nd-aktuell.de / 24.01.2013 / Sport / Seite 19

»... sonst gehst du am Jud zu Grunde«

Die Ultras des 1. FC Nürnberg haben beharrlich die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ihres Klubs angestoßen – mit Erfolg

Christoph Ruf, Nürnberg
Der 1. FC Nürnberg gedenkt seines 1932 von den Nazis vertriebenen ehemaligen Trainers Jenö Konrad – dank einer Initiative der eigenen Ultras. So wurden auch alle Vereinsausschlüsse infolge des »Arierparagrafen« annulliert.

Almog Cohen war sichtlich bewegt. Was er gerade von Evelyn Konrad, dieser »wunderbar charismatischen Frau« gehört hatte, beeindruckte den israelischen Nationalspieler in Diensten des 1. FC Nürnberg ebenso tief wie die rund 200 Gäste, die am Dienstagabend ins FCN-Klubzentrum gekommen waren, um zu erfahren, was die in New York lebende Tochter von Jenö Konrad zu berichten hatte.
Konrad, der 1978 in New York starb, war von 1930 bis 1932 Trainer des fränkischen Traditionsvereins. Nach einem geifernden Pamphlet (»Klub, gib dem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem, sonst gehst du am Jud zu Grunde«) im von NSDAP-Gauleiter Julius Streicher herausgegebenen »Stürmer« beschloss Konrad, Deutschland zu verlassen – seine Frau fürchtete um ihr Leben. Er fliehe »wehmütig und mit viel Herzweh«, schrieb er. Es sollte 81 Jahre dauern, bis die bei der Flucht dreijährige Evelyn Nürnberg wiedersehen sollte.


Zeit, sich nach dem Interkontinentalflug auszuruhen, brauchte die 84-Jährige am Montagabend nicht, stattdessen ließ sie sich von Katharina Wildermuth erst einmal die Stadt zeigen. Die Frau, die mit 77 Jahren ein Jurastudium beendete, ist rüstiger als die meisten ihrer Altersgenossinnen. Dieser Eindruck bestätigte sich auch am Dienstag. Die Zuhörer, darunter Ex-Präsident Michael A. Roth, Ex-Trainer Hans Meyer, das Trainerteam und zahlreiche aktuelle Spieler, hörten gebannt zu, als Konrad in perfektem Deutsch von der Odyssee der Familie berichtete, die von Nürnberg über Wien, Triest, Lille und Lissabon schließlich in die USA geführt hatte. »Ich freue mich, wieder hier zu sein, es ist sehr ehrenwert, was der Verein tut.«

Manager Martin Bader, der die Veranstaltung eröffnete, verlieh Jenö Konrad post mortem die Ehrenmitgliedschaft, nahm den Aufnahmeantrag von Tochter Evelyn entgegen und annullierte symbolisch alle Vereinsausschlüsse nach dem 1933 erlassenen NS-»Arierparagrafen«, den der 1. FC Nürnberg in eilfertigem Gehorsam umgesetzt hatte. Wie schamlos der FCN dabei vorgegangen war, hatten die Recherchen des Nürnberger Journalisten Bernd Siegler ergeben. Das Schreiben, in dem jüdischen Mitgliedern wie dem Kaufmann Franz Anton Salomon ihr Vereinsausschluss zum 1. Mai mitgeteilt wurde, datierte vom 28. April und begann mit der zynischen Formel »Wir beehren Sie, davon in Kenntnis zu setzen...«. Als Salomon das Schreiben aus dem Briefkasten holte, fand er neben dem Kuvert einen Freifahrtschein der Reichsbahn »nach Jerusalem – hin und NICHT wieder zurück«. Im April 1933 war der Club, der vorher stolz auf seine kosmopolitische Tradition gewesen war, also voll auf NS-Linie. Später als 1860 München, das bereits 1932 seine Vereinskorrespondenz mit »Heil Hitler« unterschrieben habe, so Siegler. Aber weit früher als Vereine wie der 1. FC Kaiserslautern oder Eintracht Frankfurt, die bis 1936, bzw. 1937 noch jüdische Mitglieder hatten.


Dass der fränkische Bundesligist nun auch öffentlich Stellung zum damals geschehenen Unrecht bezieht, ist den Nürnberger Ultras zu verdanken. Die Fans hatten zum Heimspiel gegen Bayern München am 17. November eine riesige Choreografie zu Ehren Konrads gestaltet. »Diese Geste gegen Antisemitismus und Rassismus wurde medial fast nicht gewürdigt«, sagte Bader, »offenbar interessiert es die Öffentlichkeit mehr, wenn sich irgendwo Rechtsradikale produzieren.« Diesen Eindruck hat auch Christian Mössner von »Ultras Nürnberg«, der in einer Filmeinspielung die Entstehung der Choreografie über acht Wochen dokumentierte. »Dass wir Jenö Konrad geehrt haben, ist ein Signal nach innen und außen«, sagte Mössner, der die Aktion als klare Absage an Rassismus verstanden wissen will.
Almog Cohen hat in den vergangenen eineinhalb Jahren übrigens nie den Eindruck gehabt, dass es in dieser Hinsicht etwas klarzustellen gäbe. Anfeindungen habe er noch nie erlebt. In Israel wüssten viele Menschen nicht, »wie es in Deutschland wirklich ist. Deshalb sage ich dort in Interviews immer besonders deutlich, wie wohl ich mich in Nürnberg fühle.«