nd-aktuell.de / 25.01.2013 / Kommentare

Zwei Prozent »Nächstenliebe«

Der Autor Carsten Frerk über das System der Kirchenfinanzierung in Deutschland

Marcus Meier
Wer bezahlt für kirchliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Altenheime und Schulen? Die Kirchen selbst zu nur einem sehr geringen Teil. Der Kirchenkritiker und Kirchenfinanzexperte Carsten Frerk legt im »nd«-Interview die Ursprünge der von ihm als undemokratisch empfundenen Fremdfinanzierung offen. Mit Frerk sprach Marcus Meier.

nd: Nach dem Kölner Krankenhausskandal will NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens katholischen Krankenhausbetreibern eine goldene Brücke zur »Pille danach« bauen. Zum Beispiel könnten externe Ärzte auf Vertragsbasis in den Krankenhäusern das Medikament verabreichen. Vorausgesetzt, die Kirche ließe sich darauf ein: Wäre das eine angemessene Lösung?

Frerk: Nein, es wäre keine angemessene Lösung. In einer öffentlich finanzierten Einrichtung müssen die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen umgesetzt werden. Und da weder die »Pille danach« noch der Schwangerschaftsabbruch noch Präimplationsdiagnostik strafbewehrt sind in Deutschland, haben aus meiner Sicht alle öffentlich finanzierten Krankenhäuser die Pflicht, diese Leistungen anzubieten.


Der Bau der Krankenhäuser wird von den Bundesländern finanziert, außerdem erhalten auch kirchliche Krankenhäuser natürlich Gelder aus privaten wie gesetzlichen Krankenkassen. Wie stark subventioniert die Kirche selbst ihre Krankenhäuser?
Null.

Es gibt also kein Krankenhaus, in das auch nur ein einziger Euro kirchlicher Gelder aus Kirchensteuer oder Spenden fließt?
Es mag Ausnahmen geben, in denen die Kapelle oder das neue Altarkreuz von der Kirche selbst übernommen wird. Ansonsten werden die kirchlichen Krankenhäuser wie jene vom Roten Kreuz oder dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband in die Krankenhauspläne aufgenommen und nach den gleichen Prinzipien finanziert: Die Investitionen über den Staat, die laufenden Kosten über die Kranken- und Pflegekassen.

Und in welcher Höhe fließen Kirchengelder in soziale, pädagogische und pflegerische Einrichtungen?
Das ist sehr unterschiedlich, je nach Bereich. Ich habe aber das aber einmal für die gesamte katholische Caritas und evangelische Diakonie ausgerechnet, die ja den Gesundheits- und sozialen Bereich der Kirchen umfassen. Dort sind es weniger als zwei Prozent. Die restlichen 98 Prozent kommen aus öffentlichen Sozialversicherungssystemen.

Wieso befinden sich eigentlich dermaßen viele Krankenhäuser in kirchlicher Hand?
Die Kirchen handeln – wie auch die Islamisten in Ägypten – nach dem Prinzip: »Gebe den Menschen zu essen, lindere ihre Schmerzen, heile ihre Krankheiten – und sie werden Dich lieben«. Traditionell haben sich die Kirchen um Krankenversorgung und Caritas gekümmert – als Ausdruck ihrer »Nächstenliebe«. Der Staat musste im 19. Jahrhundert darum kämpfen, auch Krippen etablieren zu dürfen – die Kirchen sahen das als ihr ureigenes Terrain an. Auch die Krankenversorgung wurde damals erstmals als öffentliche Angelegenheit betrachtet. Bis dahin gab es nur die Armenspitäler der Kirchen. 1961, noch unter dem Kanzler Adenauer, gelang es den Kirchen, das Subsidiaritätsprinzip im Sozialgesetzbuch zu verankern. Das besagt: Wenn ein freier Träger eine Einrichtung betreiben will, dann hat der Staat zurück zu treten.

Was hat das mit den Kirchen zu tun?
70 Prozent dieser »freien Träger« gehören zur Caritas oder Diakonie. Besonders betroffen ist Nordrhein-Westfalen. Das Rheinland war immer schon erzkatholisch. Und wer würde es wagen, sich mit dem Erzbischof von Köln anzulegen?

Seit Johann I. von Brabant und der Schlacht von Worringen niemand mehr, jedenfalls nicht angemessen ernsthaft. Spart der Staat in irgendeiner Form Gelder ein, indem er Aufgaben an die Kirche delegiert?
Unter dem Strich ist das für den Staat wohl tatsächlich kostengünstiger. Er spart erstens bürokratischen Aufwand. Zum anderen praktizieren kirchliche Einrichtungen Lohndumping und Outsourcing. Kirchliche Anbieter sind oft deshalb kostengünstiger, weil sie von schlechten Arbeitsbedingungen profitieren – was der Staat nicht dürfte.

Der Staat treibt für den Klerus die Kirchensteuer ein. Er finanziert zudem indirekt die üppigen Gehälter von Priestern und Bischöfen. Der Hassprediger Joachim Kardinal Meisner verdient so viel wie der Präsident des Bundesrechnungshofs. Gerecht?
In der Politik die Frage nach der Gerechtigkeit zu stellen, ist etwas blauäugig. Es ist doch so: Da gibt es Traditionen, Verträge, Ansprüche, Verbindlichkeiten – ein Mix verschiedener Elemente, historisch gewachsen. 1919 ist es übrigens einem Bündnis aus SPD, KPD und Deutscher Demokratischer Partei gelungen, die klare Trennung von Kirche und Staat in der Weimarer Verfassung zu verankern: Freie Kirche im freien Staat, jeder macht seinen Kram alleine. Dieses demokratische Postulat war nach der zweiten Reichstagswahl 1923 kein Thema mehr. Und danach nie wieder. So wurden alte Ansprüche weiter getragen worden, insbesondere die Staatsleistungen an die Kirche, die 1919 beendet werden sollten. Auch heute zahlen 16 Bundesländer mit Ausnahme von Hamburg und Bremen aktuell 480 Millionen Euro pro Jahr. Aus diesem Topf werden die Bischöfe bezahlt und ein Gutteil der Priester.

Der Staat blecht teilweise für Jahrhunderte alte Entschädigungsverträge. Wofür werden die Kirchen entschädigt?
Sie werden ja gar nicht entschädigt, und das ist der eigentliche Skandal. Was Anfang des 19. Jahrhunderts säkularisiert wurde, war lediglich der persönliche Besitz von Bischöfen. Eigentlich war nur festgelegt worden, dass die Länder, die diese zuvor kirchlichen Territorien erhielten, bestimmte bauliche Leistungen erbringen und den enteigneten Bischöfen eine Apanage bis an ihre Lebensende bezahlen sollen. Ad personam!

Also nicht auf ewige Zeiten und auch an die Amtsnachfolger.
Exakt. Aber 1806 erlosch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Und alle möglichen einstigen Reichsländer – Bayern, Hannover, Württemberg! – wurden Königreiche. Und dann fiel diesen Königen auf: Huch, mein Sohn muss ja dereinst zum König gesalbt werden! Und dafür brauchte man Bischöfe, die samt Hofstaat finanziert wurden. Legitimierung weltlicher Herrschaft gegen die Finanzierung kirchlicher Macht! Aber mit der Etablierung der Demokratie sind diese Vereinbarungen historisch hinfällig. Macht wird nicht mehr durch Gottesgnadentum legitimiert.