Blicke in die Röhre

Im Inntal wird der Streit um den Brenner-Basistunnel akut - viele dort sehen sich als Verlierer

  • Paul Winterer, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Bis die ersten Züge durch den geplanten Tunnel unter dem Brenner am Alpenhauptkamm hindurchdonnern, dürften noch Jahrzehnte vergehen. Doch in Bayern nimmt die Verkehrsanbindung bereits Gestalt an - und sie ist umstritten wie der Tunnel selbst. Jetzt wird mit der Information vor Ort begonnen.

Rosenheim. »Das Vorhaben duldet keinen Aufschub.« Ungeduldig mahnte der damalige bayerische Wirtschaftsminister und spätere Bahn-Vorstand Otto Wiesheu (CSU) am 3. Juni 1994 zur Eile beim Projekt Brenner-Basistunnel. Doch bis heute gab es nicht einmal einen ersten Spatenstich. Dafür wurde in den vergangenen Woche eine Art Bürgerbeteiligung für die Anbindung des Tunnels auf bayerischer Seite eingeläutet. Deutsche Bahn (DB) und Österreichische Bundesbahnen (ÖBB) baten in Rosenheim Bürgermeister der betroffenen Gemeinden und Abgeordnete zum Dialog. Denn die geplante Trasse für die Zulaufstrecke durchs Inntal ist umstritten.

Seit Jahrzehnten träumen nicht nur die Verkehrsplaner von der rund 60 Kilometer langen Röhre unter dem Brenner. Der Tunnel selbst soll 8 Milliarden Euro kosten, die Zuganbindung auf bayerischer Seite 2,6 Milliarden. Mit der Inbetriebnahme wird nicht vor 2032 gerechnet. Das Ziel: den Bahntransit über die Alpen zu beschleunigen sowie Tirol und Südtirol vom täglichen Lkw-Albtraum zu entlasten.

Gegen oberirdische Gleise

Doch das ehrgeizige Projekt drohte schon mehrfach am Geld zu scheitern. 2012 beschloss Österreich ein milliardenschweres Sparpaket, das auch den Brenner-Basistunnel betrifft. Dennoch unterzeichneten Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und seine Wiener Kollegin Doris Bures (SPÖ) im Juni des veragangenen Jahres eine Vereinbarung zur gemeinsamen Planung. Damals versprach Ramsauer: »Nur gemeinsam mit den Menschen in der Region können wir dieses Großprojekt umsetzen.«

Der aus dem nahen Chiemgau stammende Christsoziale weiß nur zu genau, dass es im oberbayerischen Inntal massive Proteste gegen die Pläne gibt. Bürgermeister im Landkreis Rosenheim wehren sich vehement gegen den vorgesehenen viergleisigen oberirdischen Ausbau. »Bei uns herrscht Fassungslosigkeit, Unverständnis und Verärgerung«, sagte ihr Sprecher Wolfgang Berthaler nach Bekanntwerden erster Pläne. Er und seine Kollegen sehen sich als »Wutbürgermeister«.

Selbst führende Mitglieder der Berliner CSU-Landesgruppe legen sich mit Ramsauer an. Deren Vizechefin Daniela Ludwig - sie kommt aus Rosenheim - hält die Pläne des Ministers für inakzeptabel. Neue oberirdische Bahngleise durchs Inntal kämen nicht infrage, wiederholt sie gebetsmühlenartig, wenn sie auf das heikle Thema angesprochen wird. »Würde Verkehrsminister Ramsauer die örtlichen Gegebenheiten zum Beispiel in Brannenburg, Flintsbach und Oberaudorf kennen, dann würde er wissen, dass neue oberirdische Gleise diesen Gemeinden nicht zuzumuten sind«, schoss sie ihren Parteifreund an. Und der örtliche CSU-Landtagsabgeordnete Klaus Stöttner pflichtete Ludwig bei: »Da muss es Tunnel geben, anders kann ich mir das gar nicht vorstellen.« Schließlich hat in Bayern längst der Wahlkampf begonnen.

Die Bahn laviert

Der Bund Naturschutz in Bayern (BN) hält das Projekt für verkehrspolitisch überflüssig, unwirtschaftlich und nicht finanzierbar. Man lehne das Gesamtvorhaben daher nach wie vor entschieden ab, sagt BN-Experte Richard Mergner. Industrie und Handel unterstützen hingegen den Bau des Tunnels samt seinen Anbindungsstrecken. Nun soll erst einmal ausgelotet werden, wie die kürzlich von der Bahn konkret aufgenommenen Planungen vor Ort ankommen.

Doch der SPD-Bundestagsabgeordnete Ewald Schurer ist skeptisch. Der haushaltspolitische Sprecher der weiß-blauen SPD-Truppe in Berlin beklagt, dass zu der Veranstaltung nicht alle Betroffenen entlang der geplanten Trasse eingeladen wurden, sondern nur die Mandatsträger: »Gute Bürgerbeteiligung sieht anders aus.« Die Deutsche Bahn (DB) selbst rechnet mit jahrelangen Planungen für die bayerischen Zulaufstrecken zum Brenner-Basistunnel. Und sie will sich weder beim Zeitplan noch bei den Kosten festlegen, wie Stefan Kühn von der DB-Netz sagte. Er versprach einen offenen Dialog mit den Bürgern.

Der Sprecher der Inntal-Kommunen verlangte indessen eine ähnlich intensive Bürgerbeteiligung »unter Einbindung der Gemeinden« wie im österreichischen Nachbar-Bundesland Tirol.

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