nd-aktuell.de / 28.01.2013 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Wohlstand ohne Wachstum?

In der Bundestags-Enquetekommission verständigen sich die Oppositionsparteien auf eine gemeinsame Position

Klaus Steinitz
Politiker der Oppositionsparteien im Bundestag haben sich auf eine gemeinsame Position geeinigt, was aus der Wachstumskritik zu folgern ist.
Wohlstand ohne Wachstum?

Die Bundestags-Enquetekommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« kommt am heutigen Montag zu ihrer mittlerweile 27. Sitzung zusammen. Das Gremium aus Bundestagsabgeordneten und Sachverständigen soll Prozesse analysieren, bewerten und daraus konkrete Handlungsempfehlungen ableiten. Die für die weitere gesellschaftliche Entwicklung entscheidende Problematik berührt praktisch alle Politikfelder, zudem auch Fragen der Demokratisierung, der Europa- und der globalen Politik.

Die Meinungen zwischen Regierungskoalition und den Oppositionsparteien gehen weit auseinander. So wurde der Berichtsentwurf der Projektgruppe 1, die den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft zu untersuchen hatte, von CDU/CSU und FDP verfasst, während die Oppositionsparteien einen Alternativentwurf vorgelegt haben. SPD, Grünen und der LINKEN ist es gelungen, zu den Erfordernissen einer zukunftsfähigen Entwicklung einen parteiübergreifenden Standpunkt auszuarbeiten. In einer offenen, sachlichen Diskussion ist es also durchaus möglich, zwischen Rot, Rot und Grün zu gemeinsamen politischen Bewertungen und Schlussfolgerungen zu kommen.

Darüber hinaus enthält das Oppositionsvotum aussagekräftige Analysen und gut begründete politische Schlussfolgerungen zu grundlegenden Fragen des notwendigen Politikwechsels. Demnach hat das Bruttoinlandsprodukt (BIP) für die Erfassung des realen Wachstums und besonders der Wohlstandsentwicklung nur eingeschränkte Aussagekraft. Untersucht werden ferner die das zukünftige Wachstum bestimmenden Faktoren, die Beziehungen zwischen Wachstum und Umwelt sowie die Wechselwirkungen zwischen Wachstum und öffentlichen Finanzen bzw. öffentlichen Investitionen.

Im Oppositionsvotum sind viele Überlegungen enthalten, die dazu beitragen können, sich über den Inhalt und die Realisierungsbedingungen eines neuen Entwicklungsparadigmas zu verständigen. Durch das gesamte Votum zieht sich die Erkenntnis, dass »wir einen Wendepunkt in der Entwicklung des westlichen Wachstumsmodells erreicht haben. Dass wir vor einer grundlegenden Weichenstellung stehen, wird beispielsweise an den ökologischen Grenzen des Wachstums deutlich.« Die Autoren heben hervor, dass es gegenwärtig nicht allein um eine Konjunkturkrise, sondern auch um die Gleichzeitigkeit ökonomischer, sozialer, ökologischer und demokratischer Krisen geht, was eine politische Gestaltung notwendig macht. Als Alternative zur herrschenden Politik des »Kurshaltens« wird die Notwendigkeit einer tiefgreifenden sozial-ökologischen Transformation abgeleitet, die nur auf einem nachhaltigen Entwicklungspfad bewältigt werden kann. Hiermit ist die Notwendigkeit verbunden, den »Arbeitsmarkt, die Sozialsysteme und die öffentlichen Haushalte vom Wachstum abzukoppeln«.

Mit der Vorstellung des Oppositionsvotums ist das Thema nicht abgehakt. Notwendig ist eine differenziertere Bewertung des Wirtschaftswachstums in den hoch industrialisierten kapitalistischen Staaten, den Schwellenländern sowie den ökonomisch schwächsten Ländern. Weiterhin müsste stärker zwischen kurzfristigem Wachstum zur Überwindung der Krisenwirkungen und langfristigem Wachstum, auf das insbesondere die veränderten Umweltbedingungen und die Demografie einwirken, unterschieden werden. Und es stellt sich die Frage, wie bei geringem oder gar keinem Wachstum die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit, dauerhafter Erhalt oder Ausbau des Sozialstaats sowie die Finanzierung öffentlicher Investitionen und Beschäftigung bei gleichzeitigem Abbau der Staatsschulden auf ein tragfähiges Maß erfüllt werden können. Hierfür werden im Votum Lösungsrichtungen auf gezeigt: Arbeitszeitverkürzung, Umverteilung, Steuerreform zur Erhöhung der Haushaltseinnahmen, allgemeine Bürgerversicherung. Diese für die Zukunft zen-tralen Fragen werden in der wachstumskritischen Diskussion bisher unzureichend beachtet.