Unruhe im Fleischtopf

Die angekündigte Agrarwende in Niedersachsen könnte die Expansion von Mastanlagen stoppen

  • Lesedauer: 3 Min.
Die niedersächsische Agrarwirschaft ist hoch industrialisiert, die Region Weser-Ems wird gern als Deutschlands Fleischtopf bezeichnet. Der starke Zugewinn der Grünen bei der Landtagswahl am 20. Januar wird für die künftige Agrarpolitik einer rot-grünen Koalition in Hannover nicht ohne Folgen bleiben. Beim Bauernverband Landvolk wächst die Unruhe.

Hannover (AFP/nd). In keinem anderen Bundesland ist die Agrarwirtschaft auch nur annähernd so wichtig wie in Niedersachsen. Hier werden acht Millionen Schweine gehalten, mehr als es Einwohner gibt. Jedes zweite Stück Federvieh wird hier gemästet. Die Region Weser-Ems wird gern als Deutschlands Fleischtopf bezeichnet. Seit dem Wahlsieg von Rot-Grün am 20. Januar herrscht Unruhe unter den 60 000 Bauern in Niedersachsen: SPD und Grüne verhandeln über eine Koalition - und die Grünen haben schon klar gemacht, dass sie vom SPD-Spitzenkandidaten Stephan Weil in der Agrarpolitik eine echte Wende fordern.

Auf die bisherige, CDU-geführte Landesregierung konnten sich die Landwirte stets verlassen, auch wenn wieder mal Fernsehbilder von leidenden Tieren aus niedersächsischen Ställen für Empörung sorgten. Die Bauern sind christdemokratische Stammklientel - und man konnte ja auch immer gute wirtschaftspolitische Argumente für Niedersachsens bisherige Agrarpolitik finden: Nirgendwo sonst in Deutschland produzieren so viele Biogasanlagen Strom, die Veredelungswirtschaft vom Schlachthof bis zur vorgebratenen Frikadelle boomt und beschäftigt über 60 000 Menschen. Die Landkreise Emsland, Cloppenburg und Vechta haben die mit weitem Abstand höchste Viehdichte - aber auch die niedrigsten Arbeitslosenquoten in ganz Norddeutschland. Und das Bauprivileg macht die ungehemmte Expansion möglich: Landwirte können im Außenbereich der Gemeinden die Mastanlagen praktisch ohne Einspruchsmöglichkeit für Kommunen und Landkreise aus dem Boden stampfen.

Die Kehrseite der Medaille: Die Nitratbelastung im Grund- und damit langfristig auch im Trinkwasser steigt, bereits auf 60 Prozent der Flächen in Niedersachsen ist sie zu hoch. Bauern behandeln ihre Tiere nicht nur bei Krankheit, sondern auch vorbeugend mit Antibiotika; damit steigt die Gefahr, dass Menschen durch Fleischverzehr immun werden gegen lebensrettende Medikamente.

Auf den riesigen Schlachthöfen vor allem in der Region Weser-Ems werden Leiharbeiter aus Osteuropa zu Hungerlöhnen beschäftigt. Naturschützer schlagen Alarm, weil Mais auch als Futter für die Biogasanlagen gebraucht und mittlerweile auf fast einem Drittel der Ackerflächen angebaut wird. Jetzt aber bereiten sich SPD und Grüne auf die Regierungsübernahme vor, und die Grünen haben im Wahlkampf offensiv damit geworben, sie würden die Massentierhaltung nicht länger hinnehmen. Die Landkreise können künftig in ihrem Kampf gegen den Bau neuer riesiger Ställe auf Unterstützung rechnen. Großschlachthöfe sollen keine Zuschüsse aus der Landeskasse erhalten wie zuletzt der Fleischkonzern Rothkötter, der in Wietze bei Celle den größten Geflügelschlachthof Europas baute.

Der Bauernverband - in Niedersachsen Landvolk - lief in der Vergangenheit bereits Sturm gegen einen Erlassentwurf der alten CDU-FDP-Regierung, den Fleischproduzenten wenigstens minimale Auflagen zu machen für die Abluft ihrer Ställe. Da hat Christian Meyer - agrarpolitischer Fachmann der Grünen-Landtagsfraktion und Mitglied der grünen Verhandlungskommission mit der SPD in Sachen Koalitionsvertrag - noch ganz andere Ideen: »Der Stallbauboom muss gestoppt und die Gülle-Seen müssen ausgetrocknet werden.« Meyer hat auch deshalb eine starke Position, weil den Grünen nach Einschätzung der Demoskopen bei der Landtagswahl die höchste agrarpolitische Kompetenz zugewiesen worden ist. Sie haben gepunktet mit ihrem Frontalangriff auf die konventionelle Landwirtschaft.

Das Landvolk hat es sich übrigens auch noch mit der Evangelischen Landeskirche verdorben, weil der Verband seine Mitglieder aufgefordert hatte, Erntedank-Predigten mit »ungerechtfertigter und überzogener Kritik« an der Massentierhaltung umgehend der Zentrale in Hannover zu melden. Der in Niedersachsen besonders kleine aber eifrige Konkurrent des Landvolks, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, zitierte daraufhin genüsslich die Bibel: »Sie haben alle einen Odem und der Mensch hat nichts voraus vor dem Vieh.«

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal