nd-aktuell.de / 01.02.2013 / Wort und Wahn / Seite 1

Komm nach vorn!

Das Skandalurteil gegen Tim H. und ein Brecht-Gedicht

Wolfgang Hübner

Kürzlich wurde der Berliner Antifaschist Tim H. in Dresden zu fast zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte sich an einer Naziblockade beteiligt, soll dabei zeitweise ein Megafon getragen und Demonstranten unter anderem mit dem Ruf „Kommt nach vorn!“ zu Militanz gegen die Polizei aufgestachelt haben. Soweit die dürftige Vorwurfs- und Beweislage. Man wird sich angesichts solcher Rechtsprechung künftig überlegen müssen, wo und wann man „Kommt nach vorn!“ ruft. Bertolt Brecht hat vor Jahrzehnten ein schönes Gedicht geschrieben, in dem der nun in Dresden inkriminierte Satz - wenngleich im Singular - gleich mehrfach auftaucht.

Die Vögel warten im Winter vor dem Fenster

Ich bin der Sperling.
Kinder, ich bin am Ende.
Und ich rief euch immer im vergangenen Jahr,
wenn der Rabe wieder im Salatbeet war.
Bitte um eine kleine Spende.

Sperling, komm nach vorn.
Sperling, hier ist dein Korn.
Und besten Dank für die Arbeit!


Ich bin der Buntspecht.
Kinder, ich bin am Ende.
Und ich hämmere die ganze Sommerzeit,
all das Ungeziefer schaffe ich beiseit.
Bitte um eine kleine Spende.

Buntspecht, komm nach vorn.
Buntsprecht, hier ist dein Wurm.
Und besten Dank für die Arbeit!


Ich bin die Amsel.
Kinder, ich bin am Ende.
Und ich war es, die den ganzen Sommer lang
früh im Dämmergrau in Nachbars Garten sang.
Bitte um eine kleine Spende.

Amsel, komm nach vorn.
Amsel, hier ist dein Korn.
Und besten Dank für die Arbeit!