nd-aktuell.de / 02.02.2013 / Kommentare / Seite 20

Dschungel

Bernd Zeller
Vignette: Bernd Zeller
Vignette: Bernd Zeller

Ein kulturelles Großereignis, manche halten es auch für ein großkulturelles Megaereignis, ist zu Ende gegangen, wie den Feuilletons der überregionalen Presse zu entnehmen ist.

Alle Medien stimmten darin überein, dass sämtliche Details aus der auf RTL übertragenen Mischung aus antiker Oper und neoklassizistischer Tragödie »Dschungelcamp« etwas zu bedeuten haben, allein schon, weil die hohen Einschaltquoten kein anderes Verständnis zulassen. Die Kulturredaktionen möchten nicht als verschnarcht oder gar rückständig gelten und befassen sich deshalb ausgiebig mit dem, was die Leute wirklich interessiert, nämlich dieser mit Schwellenpromis besetzten Reality-Show.

Darin zeigt sich das Angekommensein der Redakteure im Medienzeitalter des frühen 21. Jahrhunderts mitsamt ihrer Zuständigkeit für die Deutung komplexer dramaturgischer Strukturen der Fernsehwelt, deren Tiefgang als multikafkaesk zu beschreiben ist. Denn das Dschungelcamp gleicht einer Zusammenlegung von Kafkas Strafkolonie, Prozess, Schloss und Verwandlung mit Dostojewskis Bösen Geistern, Erniedrigten und Beleidigten, Verbrechen und Strafe und Idiot.

In der Volksabstimmung über den Dschungelkönig erweist sich die Reife der demokratischen Gesellschaft. Die Wahlbeteiligung ist hoch, obwohl dem Gewählten lediglich eine repräsentative Funktion zukommt. Das Bedürfnis nach einem Königtum ist beschränkt auf die Dschungelregion, womit zugleich ein Ersatz für ein Kolonialreich gegeben ist.

Der amtierende Dschungelkönig ist einem Rotationsprinzip unterworfen, er gerät zuerst in Vergessenheit und wird nach einem Jahr durch einen neuen ersetzt, der, den Regeln folgend, noch dümmer ist. Hier liegt der entscheidende Unterschied zum parlamentarischen System, das weitaus schwerfälliger ist und dessen Spitzenpersonal längere Amtsperioden durchzustehen hat. Außer natürlich bei der FDP.