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Eine gewisse Zerknirschtheit

Kunstsammlungen Chemnitz: Doppelausstellung Neo Rauch und Rosa Loy

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 5 Min.

»Der Herr von Doppelmoppel hat alle Dinge doppel« heißt es in Kurt Schwitters sinnreichen Ulkversen, nämlich: Doppelkinn, Doppelgrübchen, Doppelleben. Und ähnlich suchte wohl auch Ingrid Mössinger Shootingstar Neo Rauchs Erfolg zu verdoppeln, indem ihm die clevere Chemnitzer Museumschefin die Werke von Rauchs Gemahlin und Kollegin Rosa Loy an die Seite stellte. Der Coup glückte: Gleich am Eröffnungstag schaffte es die Duo-Ausstellung in die »Tagesthemen«. Hinzu kommt der Triumph, dass Neo Rauch für den Chemnitzer Rathaus-Saaal ein Auftragsbild gemalt hat. Es tritt dann in Konkurrenz zum 13,5 Meter langen Riesenformat des Altmeisters Max Klinger, das die gesamte Stirnwand des Stadtverordnetensaals im gleichen Möbius-Gebäude überzieht.

Unter dem fortschrittstrunkenen Titel »Arbeit = Wohlstand = Schönheit«, das an die goldenen Zeiten des sächsischen Manchesters gemahnt, lässt Klinger hier sich enthüllende Jugendstil-Damen vor geschäftiger Hafenkulisse tänzeln. Demgegenüber erscheint Rauchs 1,77 mal 3,52 Meter große Küchen-Justitia in »Die Abwägung« eher hausbacken. Breithüftig stemmt sie mit der Rechten ein Miniaturhochhaus, während sie in der Linken ein Bäumchen hält. Gewogen, gewogen und zu leicht befunden für die vor ihr aufragende schnöde Küchenwaage? Von links reicht ihr eine junge Frau ein zitterndes Vögelchen. Weitere Personen bieten weihevoll knospende Pflanzen wie auch einen verkohlten Ast feil - ein Verweis auf die im Zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstörte Innenstadt von Chemnitz. Auch das ominöse biomorphe Gewölk, das seit einigen Jahren durch Rauchs Bildlandschaften wabert, fehlt nicht.

Das ganze Programm also: Rauchs Raunen, das manchen Kritiker entnervt aufstöhnen lässt, schwebt über der Szenerie. Nimmt hier der Künstler die Kommunalpolitik auf den Arm? Lässt sich eine Stadt leichter Hand regieren, als gelte es, die Zutaten für einen Gugelhupf abzuwägen? Milder gestimmt sind da die Gemälde von Rosa Loy, mit der Neo Rauch in der Leipziger Spinnerei Wand an Wand malt. Während ihr Mann einmal bemerkte, dass er die Menschen an den Abgrund heranführen würde, was er geradezu buchstäblich in seinem Gemälde »Hohe Zeit« (2012) inszeniert, sieht Loy ihren Platz woanders: »Ich führe die Leute lieber um den Abgrund herum und weit weg. Denn das Leben ist ein Abgrund. Es ist so einfach, schlechte Nachrichten zu transportieren, sich in Negativität zu wälzen.«

In ihren Bildern, die sie in der alten Technik der Kaseinmalerei ausführt, die ihnen eine Sprödigkeit verleiht, dominieren starke Frauen, die im Unterschied zu ihren meist hölzernen Schwestern bei Rauch durchaus Erotik ausstrahlen. Eigentümlich spaltet Loy in »Gravitation« (2004) wie auch in »Die andere Seite« (2009) die strotzende Weiblichkeit in zwei ähnliche Figuren auf. Dieses Sujet geht wohl auf eine Kindheitserinnerung der Künstlerin zurück, die mit sechs Jahren eine Zwillingsschwester imaginierte, um über die räumliche Trennung von ihren Freundinnen hinwegzukommen - ihre Eltern waren zu diesem Zeitpunkt mit ihr von Zwickau nach Leipzig umgezogen.

Immer wieder tauchen gärtnerische Aspekte mit hinein, wie etwa in »Freunde« (2005), wo vier Frauenköpfe über einer kolossalen Lemniskate - dem Symbol für Unendlichkeit - die vier Jahreszeiten symbolisieren: Erneuerung und Erwachen, Fruchtbarkeit und Vergehen. Freilich streift eine derartige Komposition hart am Kitsch und erinnert an surreal-volkstümliche Allegorien einer Frida Kahlo.

Das seit 1985 verheiratete Paar stellt nun erstmals in Deutschland gemeinsam aus, nachdem es bereits 2011 in der Sammlung Essl in Klosterneuburg bei Wien einen Doppelauftritt gewagt hatte. Für Chemnitz nun fragte die Generaldirektorin bei den beiden Künstler an - »und wir haben sofort Ja gesagt, denn einer Mössinger kann man nichts abschlagen«, bemerkt Loy augenzwinkernd. Doch tut man beiden Künstlern durch die gleichzeitige Präsentation, wenn auch in zwei verschiedenen Sälen, einen Gefallen?

Als erstes fällt die unterschiedliche Farbigkeit auf: Wo Rauch in satten, oft knalligen Tönen schwelgt, die von einem merkwürdig kalten Licht grundiert werden, zieht Loy in ihren Werken eine verhaltenere, zartere Palette vor. Werden hiermit Vorurteile bestätigt, welche das Feinere, Märchenhaftere ins Residuum des Weiblichen verweist? So schlicht kann man in diesem Fall wohl nicht kategorisieren. »Ihre Leinwände sind Gärten und keine Exerzierplätze«, fasst Neo Rauch lakonisch die Bilderwelten Rosa Loys zusammen, die ja vor ihrer Ausbildung an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst in Berlin Gartenbau studiert hatte. Auf seinen eigenen Leinwänden registriert er indes »eine gewisse Zerknirschtheit und untergründige Gefahr.«

Beide Künstler haben sich dezidiert dem Rätselhaften verschrieben. Und es gibt unübersehbare Déjà-vus, etwa wenn in Loys Gemälde »Mondlicht« zwei uniformierte Männer mit gleißenden Scheinwerfern agieren, während eine madonnenartige Frau einen schemenhaften Kinderleib in ihren Armen hält, der in biomorphe Formen zerrinnt. In ihrem Bild »Die Dienststelle« findet sich in einer Art Blase eine comichaft gezeichnete junge Frau in plakativen Farben, wie sie auch bei Rauch öfter zu finden sind.

Die Frage, ob sie sich ohne die Nähe ihres Malermannes anders entwickelt hätte, weist Loy von sich: »Ich denke nicht darüber nach. Es gibt in jedem Leben unterschiedliche Wege. Weichen werden gestellt, und Wege gehen nach rechts oder links.«

Zweifelsohne haftet Künstlerpaaren etwas Magisches an, das hatte bereits 2008 eine große Schau im Kölner Walraff-Richartz-Museum gezeigt. Aber oftmals sind zwei Genies eines zu viel, und Konstellationen wie Paula und Otto Modersohn oder Camille Claudel mit ihrem Rodin zeigen, wie brüchig und wenig belastbar solche Paarungen sind. Augenscheinlich hält das erfolgreiche Duo in der Leipziger Spinnerei derlei Spannungen gut aus. Womöglich hilft hier maßgeblich das »Rezept« der beiden, dass »nicht ungefragt kommentiert wird«. Denn zur Unzeit könne dies zerstörerisch wirken. Eifersucht auf den Hypererfolg ihres Mannes scheint für Rosa Loy ein Fremdwort zu sein: »Aber natürlich, das will ich nicht leugnen, sind wir in Leipzig alle in der Sonne von Neo.«

Kunstsammlungen Chemnitz: Neo Rauch - Abwägung. Rosa Loy - Gravitation. Bis 17. Februar. Katalog. Rauchs Gemälde »Abwägung« soll am 2. März an seinem künftigen Platz im Ratssaal präsentiert werden.

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