Sturm auf die Destille

Die Rixdorfer Perlen verteidigen Neukölln im Heimathafen

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Die eine machte sich einen Namen damit, politisch brisante Themen unerschrocken dramaturgisch umzusetzen. Die andere bewies schon mehrfach ihr gutes Gespür, das Freche am Berlinischen zu inszenieren. Zusammen sind die Regisseurinnen Nicole Oder und Julia von Schacky perfekt. Im Heimathafen Neukölln inszenierten sie eine Neu-Berliner Posse, wie sie besser nicht ins Geschehen passen kann. In »Zum Feuchten Eck an der Sonnenallee« verteidigen die »Rixdorfer Perlen« ihren Bezirk Neukölln. Von denen stammt im Wesentlichen der Text, an dem Olaf Kosert und die beiden Regisseurinnen mitarbeiteten.

Die drei »Perlen« sind unverwechselbar. Sie wurden durch ihre Programme stadtbekannt. Es sind nun mal die frechsten Weibsen, die Berlin auf der Bühne zu bieten hat - die Schauspielerinnen und Sängerinnen Britta Steffenhagen als Kneipenwirtin Marianne, Inka Löwendorf als Nachtarbeiterin Jule und Johanna Morsch - auch schon »Anna Netrebko vom Hermannplatz« genannt - als eifrige, schwangere Putze Mieze. Der Bauch ist echt.

Allesamt Überzeugungstäterinnen mit eindeutiger Liebe zu Neukölln. Ging es in den vergangenen Jahren darum, den Ruf der Bewohner ihres Bezirks zu verteidigen, ist es inzwischen das Terrain, das ihren Einsatz braucht. Für das Stück holten sie sich Verstärkung. Die »Gaststars« teilen den Abscheu vor der »Schentrifizierung«. Den Mieterausverkauf haben sie allesamt satt. Wenn im Stück nun der fiese Investor Friedbert Klauke (Andreas Frakowiak) in der Eckkneipe einen Latte Macchiato bestellt, bekommt er prompt vom blonden Gift Marianne entgegen geknallt: »Seh ick aus wie Ornella Muti? Hier jibt's Kaffe mit Milch!«.

Weil der »Weltunterjang nu ausjefallen is« haben die Damen in der Posse beschlossen, 2013 jeden Abend Silvester zu feiern. Kalt trifft sie indes im »Feuchten Eck«, ihrem zweiten Zuhause, existenzielle Gefahr. Der Sturm auf die Destille. Investor Klauke will die Immobilie unbedingt und lässt sich durch flugs von den Damen erfundene Geschichten vom Schimmel im Eckneipengemäuer durch den »jefährlichen Schwammwurzelschwitzling« oder so ähnlich, durchkrachte Dielen und ähnliche Hauskaufschocker nicht abschrecken. Dann reiße er die Hütte eben ab, besitze Grund und Boden, baue neu und richte dann seine »Appelwoi-Lounge« ein, geht Klauke seinen Plan B durch. Für diese Rolle konnten die Stückemacher nah an der Realität bleiben.

Andere dagegen trieben sie ins Groteske. Da rückt der vermeintliche Kneipenerbe Siggi Sülzheimer aus Wien (Alexander Ebeert) an. Allerdings ohne Okkupantengehabe. Außerdem wuselt der Möchtegern-Anwalt Dr. Dr. Fiedler (Jörg Koslowsky) herum. Aber der Getränkelieferant Richie (PR Kantate) hört die Nachtigall trapsen.

Typisch wie die kabarettistischen Bezüge zum aktuellen Berliner Leben und die sicher zur Pointe gebrachten Dialoge ist bei den Rixdorfer Perlen viel Musike. Zur Klavierbegleitung von Felix Raffel (musikalische Leitung) wurden dafür bekannte Titel von Werner Richard Heymann über Udo Jürgens bis Michael Jackson textlich für Neukölln qualifiziert. Die Worte für seinen Song »Marianne« nach dem zu ihm passenden Rhythmus suchte sich PR Kantate natürlich selbst. Er wird durch Beatboxing eines anonym bleibenden Kapuzenträgers hinter dem Kneipenfenster begleitet. Klasse! Julia von Schackys Bühnenbild der urgemütlichen Destille gibt auch das her.

Mit Szenenapplaus und Jubel quittiert das Publikum im großen Saal die Posse »mit Schoten, Songs und Schnäpperken für alle« von Anfang bis Ende. Und die dauert samt Pause drei Stunden, ohne lang zu werden. Der Mut des Heimathafens zum Berlinischen Volkstheater mit all seinen Verwirrungen, Verwechslungen, Herz, Schnauze und Happy End wird im dankbar aufgenommen.

9., 10.2., 20 Uhr, Heimathafen, Karl-Marx-Str. 141, Neukölln, www.heimathafen-neukoelln.de

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