Wer wird nächster WTO-Chef?

Ab August braucht die Welthandelsorganisation einen neuen Vorsitzenden

  • Marc Engelhardt, Genf
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf der Fassade des Centre William Rappard, dem Sitz der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf, verkündet ein riesiges Transparent: »Willkommen Laos, 158. Mitglied der WTO.« Mehr als drei Viertel der Weltgemeinschaft sind mittlerweile in der WTO versammelt, seit vergangenem Herbst auch Russland - der vermutlich größte Erfolg von Generaldirektor Pascal Lamy, dessen Amtszeit Ende August ausläuft. Davon abgesehen hinterlässt der Franzose, ehemals EU-Handelskommissar, vor allem Chaos. Die seit 2001 laufende Doha-Runde, deren Ergebnis umstrittene Marktöffnungen für Dienstleistungen und Güter aller Art sein sollen, steckt in einer Sackgasse.

Das soll sich unter dem neuen Vorsitz ändern, fordern die Befürworter der globalen Marktliberalisierung. Doch wie das gehen soll, ist unklar. »Wir müssen neue Türen öffnen, neue Wege beschreiten«, sagt die kenianische Bewerberin um Lamys Posten, Amina Mohammed - und weist auf ein Problem hin, das selbst Globalisierungskritiker mit dem Stillstand bei der WTO haben. »Die Regierungen warten nicht, bis wir den großen Wurf hinkriegen, sie schließen stattdessen bilaterale Handelsverträge.« Bei denen aber gilt: Der starke Partner kann den schwachen locker über den Tisch ziehen - EU, China und die USA haben die besten Karten, Entwicklungsländer die schlechtesten. Genau dieses Gefälle sollte die WTO eigentlich ausgleichen. Dass in den vergangenen Jahren mehr als 300 bilaterale Handelsvereinbarungen geschlossen wurden, ist deshalb ein schlechtes Zeichen.

Nicht nur Mohammed, auch ihre acht Mitbewerber versprechen deshalb, die WTO wieder relevant zu machen. Acht der neun Bewerber stammen aus Entwicklungsländern, und selbst der Neunte - der Neuseeländer Tim Groser - aus einem in den Verhandlungen unbedeutenden Staat. Geschuldet ist das der politischen Arithmetik einer internationalen Organisation, aber auch der Tatsache, dass Regierungen vieler Entwicklungsländer die letzten zu sein scheinen, die überhaupt noch multilaterale Handelsvereinbarungen wollen. »Wir müssen jetzt die tief hängenden Früchte ernten, also die Vereinbarungen etwa für den Landwirtschaftsbereich beschließen, auf die wir uns schon geeinigt haben«, fordert Mohammed. Doch Regelungen, die etwa Bauern aus Entwicklungsländern bei der Vermarktung ihrer Produkte helfen würden, sind das einzige Druckmittel der Industrieländer, die deshalb blockieren.

Wie sie dieses Dilemma genau lösen wollen, ließen alle Bewerber bei der ersten Vorstellungsrunde im Centre William Rappard vorerst offen. Viele, etwa der brasilianische WTO-Botschafter Roberto Azevedo oder die costa-ricanische Handelsministerin Anabel González, sind an den Verhandlungen (und ihrem Stillstand) bereits aktiv beteiligt. Kandidaten, denen man in Genf wenig zutraut - Mexikos Ex-Handelsminister Herminio Blanco etwa oder der südkoreanische Minister Taeho Bark - könnten zudem von denen protegiert werden, denen ein weiterer Stillstand bei der WTO gelegen kommt.

Dafür haben sie - im nach dem Konklave vielleicht undurchsichtigsten Wahlverfahren überhaupt - zwei Monate Zeit, in denen die Kandidaten jetzt in den Hauptstädten der Welt für sich werben müssen. Bei der Wahl im Mai gewinnen dürfte letztlich der, der sich für den machtpolitisch »richtigen« Vize einsetzt. Gleich mehrere europäische Staaten, auch Deutschland, haben Interesse angemeldet. In den kommenden Wochen dürften die Bewerber aus Nord wie Süd versuchen, eine möglichst erfolgversprechende Allianz zu schmieden.

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