Berlin verliert seine Tanzstars

Die Fälle Malakhov und Waltz

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Hiobsbotschaften im Tanz reißen nicht ab. Erst verliert das Staatsballett Berlin in Polina Semionova, die unter dissonanten Trompetenstößen aus der Compagnie schied, seinen Superstar von mittlerweile internationalem Geblüt. Dann gießt ein Verrückter wohl in Konkurrenzneid Sergej Filin, dem Chef des Bolschoi-Balletts Moskau, Salzsäure ins Gesicht. Seine Nachbehandlung in einer deutschen Klinik dürfte Monate dauern, wobei dennoch ungewiss bleibt, ob er sein volles Augenlicht wiedererlangt.

Berlin aber taumelt unterdessen sehenden Auges in eine Tanzkatastrophe. Sie begann nicht erst mit Vladimir Malakhovs am 1. Februar öffentlich gemachtem Entschluss, seine Intendanz des zum 1. Januar 2004 formierten Staatsballetts mit Auslauf seines Vertrags Ende der Spielzeit 2013/14 niederzulegen. Auch nicht mit Sasha Waltz‘ Aufschrei lediglich wenige Tage später, sie werde, chronisch unterfinanziert, zukünftig ihren Sitz dorthin verlegen müssen, wo ihr, der europaweit umbuhlten Choreografin und Regisseurin, eine solide materielle Zukunft geboten werden könne.

Der Fall Malakhov

Als Malakhov 2002 Direktor des Balletts der Lindenoper wurde, war des Jubels kein Ende. Da stand er noch auf der Höhe seiner Leistungskraft als rund um den Globus gefeierter Solist und verlieh auch der Stadt an der Spree Strahlglanz. Besonders sein Einsatz für das Staatsballett, rekrutiert aus den ehemals drei Compagnien der Opernhäuser, schlägt positiv zu Buche. Es präsentiert sich im Jahre 10 seines Bestehens personell als ein überwiegend vorzüglich besetztes Ensemble, allerdings mit nicht unumstrittenem Repertoire.

Und hier fangen auch die Probleme an. Was immer in Malakhovs Vertrag steht: Er hätte mit Augenmaß einschätzen müssen, wie viel er sich selbst zumuten darf. Als Ballettintendant gleichsam Erster Solist der Compagnie, Gast auf den Bühnen der Welt und Choreograf am eigenen Haus zu sein, würde jeden überfordern. Zumal seine eigenen Schöpfungen, mit »Cinderella« als künstlerischem Tiefpunkt, kaum Haltbarkeit besaßen. Den allgemeinen Spielplan richtete er allzu sehr am romantischen Ballett aus, dessen Parts ihm als Tänzer besonders lagen. Doch die Werke jener Ära und ihre Nachahmungen wie Ashtons »Sylvia« konnten die Herzen der Zuschauer nicht auf lange Zeit gewinnen. Signaturstücke des Staatsballetts blieben der »Schwanensee« von 1997 und Malakhovs aus Wien übernommene wunderbare »Bayadère«. Mit den neu vergebenen Aufträgen hatte er weniger Fortune, ausgenommen »Caravaggio« und Giorgio Madias familientaugliche Kreationen für die Komische Oper.

Zu spät, scheint es, ist er aus starren Überzeugungen erwacht. Nun übergibt Malakhov 2014 also das Staatsballett an seinen Nachfolger, den Kultursenator Klaus Wowereit heute bekanntgeben will. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa wird es der Spanier Nacho Duato sein. Ob der mit seiner immensen Begabung für neoklassische Erfindungen bereit ist, auch die Hausmarke Handlungsballett, beim Publikum hochbeliebt, weiter im Repertoire zu halten, ist die künftige Frage. Und auch, ob er solchen Glamourfaktor mitbringt, wie er Malakhov umwehte und wie der ihn geschickt zum Wohl der Compagnie einzusetzen wusste.

Für Berlin bleibt die bittere Wahrheit, dass wieder einmal ein unerfahrener Startänzer in eine Leitungsfunktion berufen wurde, der seine erste Compagnie als Spielwiese nutzen durfte, um dann andernorts jene Fehler nicht mehr zu machen, die ihn, Malakhov, nun den Posten gekostet haben. Wie das offenbar geschah, glaubt man den Darstellungen des Noch-Intendanten in einem Interview mit der »Welt«, wirft ein wenig schmeichelhaftes Licht auf den Umgang des Kultursenats mit den von ihm berufenen Künstlern. Zu lange hat man Malakhov gewähren lassen, ohne ein ernsthaftes Wort mit ihm, dem Angestellten, zu reden; zu hinterrücks wurde mit Nachfolgern verhandelt, was den amtierenden Ballettintendanten freilich verletzen musste. Seine Nichtverlängerung des Vertrags aus »freien« Stücken kam somit einem Befreiungsschlag gleich, im Wissen, dass er ohnehin hätte gehen müssen. Die fatale Ankündigung des Kultursenats, bereits heute werde der »Neue« vorgestellt, stützt diese These.

Der Fall Waltz

Wie sich Sasha Waltz von der unbekannten Tänzerin aus Karlsruhe innerhalb zweier Jahrzehnte an die Spitze ihrer Lesart des zeitgenössischen Tanzes emporgearbeitet hat, dürfte einzigartig sein. Dabei entwickelte sich ihr Themenspektrum von den Tücken des Zusammenlebens wie in der »Travelogue«-Trilogie oder den Wohnbedingungen im Plattenbau über allgemeinere Fragestellungen in inhaltlich weniger fixierten Stücken bis hin zu den großen Tanzopern, mit denen sie an der Berliner Lindenoper, der Oper Paris, jüngst der Scala di Milano Triumphe feierte. Auch ihre tänzerischen Erkundungen von Museumsräumen in aller Welt setzen Maßstäbe für die Interaktion der Künste. Mit Recht gilt Sasha Waltz heute als Choreografin von europäischem Rang.

Sie in Berlin zu wissen, ehrt die Stadt. Doch die Kassen sind klamm, Zuschüsse über die 1,85 Millionen Euro pro Jahr will der Kultursenat nicht gewähren. Das aber reicht nicht mehr zum Unterhalt der mit fest engagierten Tänzern arbeitenden Compagnie. Sie alle, Leiterin wie Tänzer, können ihren Einsatz nicht weiter steigern, um mehr als die zwei eigenfinanzierten Millionen Euro jährlich selbst einzuspielen, zumal Waltz schon mehrfach wegen Überforderung zusammengebrochen ist.

Wenn denn, wie eine Meldung ankündigt, die Berliner Tanzszene nun endlich Chefsache wird, dann sollte sie gleichsam nach Prioritäten neu geordnet werden, will man dem Flughafendesaster nicht noch die eingangs beschworene Tanzkatastrophe folgen lassen. So sehr der Zuzug internationaler Tänzer die Freie Szene erfreuen mag, ihr künstlerischer Zugewinn bleibt bescheiden. Experimentiert, und das ist gut so, wird viel, gefunden indes wenig. Es würde zu einer Neuordnung gehören, »Leuchttürme« wie die Truppe um Sasha Waltz hinreichend zu fördern, auch in Kenntnis der Folgen für manch andere Gruppe.

Dann und nur dann könnte sich Berlin als Tanzstadt überregional behaupten: wenn künstlerische Effizienz und finanzielle Ausgaben dafür in Balance kommen.

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