Der Fluch der Moorleiche

Der »Mann vom Bernuthsfeld« bei Aurich kam seit seiner Entdeckung im Jahr 1907 nicht zur Ruhe

  • Hans-Christian Wöste, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Für die Forschung werden Moorleichen gedübelt, angebohrt, verklebt und mit Chemikalien bearbeitet oder in den Backofen gesteckt. Dieses Schicksal widerfuhr auch der Moorleiche »Bernie« aus dem ostfriesischen Emden.

Emden. Der »Mann vom Bernuthsfeld« hat schon zu Lebzeiten arg gelitten. Nach 100 Jahren Forschung an Ostfrieslands berühmtester Moorleiche mit dem Spitznamen »Bernie« wissen die Forscher: Der Mann aus dem achten Jahrhundert nach Christus hatte Arthrose und vermutlich auch Krebs. Doch die Leidensgeschichte ging nach seinem Tod erst richtig los. Denn die Wissenschaftler gingen bei ihren Untersuchungen früher alles andere als zimperlich vor.

1907 entdeckten zwei Torfstecher im Bernuthsfeld bei Aurich die Leiche im Moor und dachten zunächst an ein Verbrechen. Aus Angst, unter Verdacht zu geraten, vergruben sie die sterblichen Überreste außerhalb ihres Grundstückes. Doch irgendwann beim Bier in der Kneipe plauderten die Männer ihr Geheimnis aus. »Gendarmeriemeister Bruns meldete den Fund und brachte den Fall ins Rollen«, weiß Archäologe Jürgen Bär vom Ostfriesischen Landesmuseum in Emden.

Der »Mann vom Bernuthsfeld« hatte da schon durch die hastige Umbettung verdrehte Knochen, sein Körper veränderte sich durch die Berührung mit Luft und durch eine Trocknungsprozedur. »Andere Moorleichen wurden gar in einen Backofen geschoben oder mit diversen Chemikalien traktiert«, hat Bär herausgefunden. »Manchmal blieben nur noch Haarbüschel übrig.«

Für »Bernie« begann eine schlechte Zeit: 1910 wurde er nach Kiel zu Johanna Mestorf verschickt, die Begründerin der deutschen Moorleichenforschung. Die Moorleiche musste zur Konservierung noch etliche Prozeduren erdulden. Die Knochen wurden mit Eisenstiften gedübelt, mit Löchern durchbohrt und mit Drähten durchstochen.

»Wie eine Marionette«, vergleicht Bär den Zustand des Skelettes, das durch die rostigen Drähte litt. Den fragwürdigen Abschluss bildete eine aufgeklebte Kunstharzschicht. Auch an seinem Ausstellungsort im Emder Museum musste »Bernie« noch einiges aushalten: Jahrzehntelang warfen Besucher durch einen Schlitz Münzen neben den Leichnam: Dieser Brauch sollte Glück bringen, führte aber auch zu Korrosionsschäden.

Heutzutage erforschen Paläopathologen mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden Skelette, Mumien und Moorleichen. Nach Untersuchungen in Hamburg und Göttingen wird er beim Landesamt für Denkmalpflege vorsichtig behandelt, um das schwarz verfärbte Kunstharz abzulösen. In der zweiten Jahreshälfte soll das 1200 Jahre alte Skelett endlich wieder ins Emder Museum zurückkehren und auf einem neuen Bett, einer neutralen Unterlage, ruhen. In zwei bis drei Jahren könnte »Bernie« sogar als lebensgroßes Modell wieder erstehen. »Weltweit ist er die vielleicht am besten untersuchte antike Leiche«, vermutet der Archäologe.

Das Schicksal von Bernie hat aber auch wieder eine Diskussion über Ethik in der Forschung angestoßen. Am Emder Museum macht man sich Gedanken über eine angemessene Präsentation in der Zukunft. »Die Moorleiche sollte nicht mehr wie früher nur zur Schau gestellt werden«, sagt Museumsdirektor Carsten Jöhnk. Besucher sollten beim Anblick der Knochen nicht einfach erschaudern, sondern einen gestorbenen Menschen in seinem damaligen Umfeld erleben.

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