Menüs aus dem Abfalltrog

Experten auf Helgoland untersuchen, wie viel Kunststoff heutzutage in einer Nordseekrabbe steckt

  • André Klohn, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Allein in die Nordsee gelangen jährlich rund 15 000 Tonnen Plastikmüll. Für einige Tierarten sind sie eine tödliche Gefahr, über die Nahrungskette können kleinste Plastikteile auch beim Menschen landen. Zudem werden die Strände in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern immer schmutziger.

Plastik ist aus vielerlei Gründen praktisch und kommt in nahezu in allen Lebensbereichen zum Einsatz. Doch eine gewaltige Menge der langlebigen Stoffe gelangt über kurz oder lang ins Meer, auch in Nord- und Ostsee. Dort werden sie zum massiven Problem. »Mit Polyethylen beispielsweise verhält es sich ähnlich wie mit anderen so in der Natur nicht vorkommenden, künstlich hergestellten chemischen Verbindungen. Es kann praktisch so gut wie nicht abgebaut werden«, sagt der Mikrobiologe Gunnar Gerdts von der Biologischen Anstalt Helgoland.

»Etwa 20 000 Tonnen Müll landen pro Jahr schätzungsweise allein in der Nordsee«, sagt Meeresschutzreferent Kim Cornelius Detloff vom Naturschutzbund. Drei Viertel davon sei Plastik. Rund 600 000 Kubikmeter Müll vermuten Experten auf dem Boden der Nordsee. Das entspricht dem Volumen von 200 olympischen Schwimmbecken mit 50-Meter-Bahnen. Der Großteil des Plastikmülls in der südlichen Nordsee stammt von Schiffen. Ein Teil der über Bord gekippten Abfälle bestehe weiter aus Plastik, obwohl dessen Verklappung mittlerweile verboten sei, sagt Detloff. Auf der Ostseeinsel Fehmarn haben Umweltschützer bei Untersuchungen mehrerer 100 Meter langer Küstenabschnitte im Schnitt 92 Müllteile gefunden, mehr als 60 Prozent waren aus Plastik. An der Nordseeküste wurden sogar schon mehr als 700 Teile je Abschnitt festgestellt. Doch nur 15 Prozent des im Meer entsorgten Kunststoffes wird überhaupt wieder an den Küsten angespült.

Abgebaut werden die Stoffe im Meer nicht. Dafür werden die einzelnen Plastikteile durch die Einwirkungen von Salzwasser, UV-Strahlung und auch durch Reibung ständig kleiner. »Schätzungen gehen davon aus, dass 90 Prozent des Plastikmülls in den Meeren kleiner als fünf Millimeter im Durchmesser sind«, sagt Detloff. Klein genug, um von Muscheln, Krebsen oder Fischen gefressen zu werden. Bis zu einer Million Seevögel und 100 000 Meeressäuger sterben laut Umweltschützern jährlich den Plastiktod. Bei einem Magen voller Plastik verhungern sie auf tragische Weise.

»Bislang ist noch wenig darüber bekannt, welche Auswirkungen Plastik in Organismen genau hat«, sagt Mikrobiologe Gerdts. Allerdings hätten Experimente bereits nachgewiesen, dass die Aufnahme von winzig kleinen Plastikteilen in hoher Konzentration zu Entzündungen führen könne. In den Magen-Darm-Trakten von 95 Prozent der tot angespülten und untersuchten Eissturmvögel konnte Plastik nachgewiesen worden, sagt NABU-Experte Detloff. »Ein großes Problem ist, dass die Mikroplastik-Artikel lipophile (fettlösliche) Schadstoffe wie einen Schwamm aufsaugen«, sagt der Toxikologe Edmund Maser vom Universitäts-Klinikum Schleswig-Holstein. Das betreffe neben Weichmachern beispielsweise das als krebserregend geltende PCB oder das Insektizid DDT. Fressen Meerestiere diese Partikel, weil sie diese fälschlicherweise für Plankton halten, nehmen sie die Schadstoffe auf. »Für den Menschen bedeutet es, dass er durch den Verzehr von solchen Meerestieren eben mehr dieser Schadstoffe aufnimmt. Viele dieser Schadstoffe beeinträchtigen auch das Hormonsystem. Es ist zur Zeit nicht einschätzbar, ob sich diese endokrinen Effekte auch auf den Menschen auswirken, aber die Gefahr besteht.«

Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) sieht die Vermüllung der Meere mit Sorge. »Es kann nicht sein, dass Meeressäuger und Seevögel sich in Abfall verheddern, dass sie Plastikteile anstelle von Fisch im Magen haben, sich kleinste Kunststoffteile in der Nahrungskette anreichern - nur, weil die Meere zu Müllhalden werden«, sagt er.

Auf Helgoland läuft derzeit ein Forschungsprojekt Microplast. Mit einem Infrarot-Spektrometer wollen die Wissenschaftler untersuchen, wie viel Plastik etwa in einer Nordseekrabbe steckt. Der NABU setzt auf die Öffentlichkeitswirkung eines auf Fehmarn gestarteten Littering-Projekts. Mittlerweile beteiligen sich auch der Hafen Sassnitz und vier niedersächsische Häfen daran. Fischer entsorgen dort mit ihren Netzen aus dem Meer gefischtes Plastik. Gut eine Tonne sei bereits aus dem Meer geholt worden, sagt NABU-Referent Detloff.

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