Opposition legt Tunesien lahm

Tausende Demonstranten in Tunis: »Das Volk will eine neue Revolution«

  • Markus Symank, Kairo
  • Lesedauer: 2 Min.

»Das Volk will eine neue Revolution«, skandierten Demonstranten. Die Menschen trugen Bilder Belaïds und machten in Sprechchören die regierenden Islamisten für seinen Tod verantwortlich. Zuvor war es landesweit zu rund einem Dutzend Angriffen auf Büros der islamistischen Partei Ennahda gekommen, dem tunesischen Zweig der Muslimbruderschaft.

Der mit 500 000 Mitgliedern größte Gewerkschaftsbund des Landes, UGTT, hatte für Freitag zu einem Generalstreik aufgerufen. Das öffentliche Leben ruhte daher größtenteils, Banken blieben geschlossen, die Fluggesellschaft Tunis Air strich alle ihre Flüge.

Tunesien galt bislang in Westeuropa als Vorzeigemodell des »Arabischen Frühlings«. Hier begannen mit der Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi Ende 2011 die Volksaufstände in arabischen Staaten. Hier führten freie und faire Wahlen ein knappes Jahr später erstmals zu einer demokratisch gewählten Regierung. Eine lähmende Auseinandersetzung zwischen Armee und Zivilstaat wie in Ägypten blieb Tunesien erspart, ebenso schwere Zusammenstöße zwischen rivalisierenden Stämmen wie im benachbarten Libyen.

Doch spätestens die Massenproteste Ende des vergangenen Jahres machten deutlich, dass auch im Mutterland der arabischen Revolution der Haussegen schief hängt. Besonders im armen Binnenland jenseits der Touristenzentren wächst die Verzweiflung darüber, dass die Regierung den wirtschaftlichen Abschwung nicht bremsen kann. Die Mittelschicht in den Städten wiederum fürchtet sich vor dem Aufstieg radikalislamischer Salafisten. Bange Blicke richten sich in diesem Zusammenhang nach Ägypten.

Folglich wird die Forderung nach einer Kurskorrektur der Regierung lauter. Ministerpräsident Hamadi Jebali, der dem gemäßigten Flügel von Ennahda zugerechnet wird, schien dem Drängen der Demonstranten am Mittwoch nachzugeben. Wie schon nach den Protesten Ende vergangenen Jahres kündigte er ein neues Kabinett an, bestehend aus Technokraten. Mehrere Ministerien will der Ministerpräsident ganz streichen, um mehr Effizienz im Regierungsbetrieb zu ermöglichen. Er setze alles daran, den demokratischen Wandel in Tunesien in Form einer neuen Verfassung und regulären Wahlen zu beschleunigen, erklärte Jebali.

Doch wie schon Ende 2012 könnte das Versprechen am Widerstand seiner eigenen Partei scheitern. Der konservative Block innerhalb der Regierungspartei Ennahda vertritt die Ansicht, der Ministerpräsident habe gar nicht die Befugnis, das Kabinett aufzulösen. Ein solcher Schritt könne nur erfolgen, wenn sich eine Mehrheit der verfassunggebenden Versammlung dafür ausspreche.

Beobachter warnen, dass in diesem Falle der Verfassungsprozess abrupt zu Ende sein könnte, an dem fast auf den Tag genau seit einem Jahr die 217 Mitglieder der Versammlung arbeiten. Ein Großteil der Artikel steht. Allerdings gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten bei den Fragen der Geschlechtergleichstellung, der Meinungsfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz.

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