Rosarote Fastnacht

Aaron Knappstein führt während der »tollen Tage« in Köln die homosexuelle Karnevalstruppe StattGarde an

  • Pascal Beucker und Anja Krüger
  • Lesedauer: 5 Min.
Die StattGarde ist eine Ausnahme im Kölner Karneval: Ihre Mitglieder sind schwul. Für manchen Jecken ist das ein Problem.

Die Stimmung im großen Festsaal des Hotels Maritim ist ausgelassen. Gerade hat der kölsche Comedian Bernd Stelter in bewährter Manier die 200 Besucherinnen der Mädchensitzung der Roten Funken zum Schunkeln gebracht. Präsident Heinz-Günther Hunold kündigt den nächsten Höhepunkt an: »Ich garantiere Euch, dass die Temperatur im Saal steigt.«

Er wird recht behalten. Dutzende knackige Männer und einige Frauen marschieren in blau-weißen Seemannsuniformen in den Saal, ihre von der Karnevalslegende Marie-Luise Nikuta verfasste Hymne schmetternd: »Wir sind die StattGarde Colonia - Ahoi, Ahoi, Alaaf.« Ganz vorne dabei ist Aaron Knappstein, der 1. Offizier der Truppe. Die Mannschaft stellt sich auf, die Bordkapelle beginnt die ersten Lieder zu spielen. Knappstein klatscht im Takt. Er liebt diese Augenblicke. Die brodelnde Erwartung im Saal. Den Spaß der Kollegen auf der Bühne.

StattGardisten sind gefeierte Stars

»Wir sind der Hit bei jeder Mädchen- und Damensitzung«, sagt Knappstein. Besonders begehrt sind die Tänzer des Karnevalskorps. »Die Schrittkombinationen, Sprünge und Hebefiguren zu russisch angehauchten Melodien zählen zum Besten, was in dieser Session auf den Bühnen zu sehen ist«, schwärmt der »Kölner Stadt-Anzeiger«. Vorstand Knappstein tanzt nicht, er repräsentiert. »Ich winke und trinke«, beschreibt er seine Aufgabe.

Nach einer halben Stunde marschiert die StattGarde unter begeistertem Applaus wieder aus dem Saal. Der nächste Termin wartet: Der Auftritt im altehrwürdigen Gürzenich bei der Prunksitzung der Prinzengarde. 90 Auftritte absolviert die StattGarde in der diesjährigen Session. Die karnevalistischen Seeleute treten in der gigantischen Köln-Arena auf, bei der vom ZDF übertragenen Prunksitzung der Kölner EhrenGarde im Großen Sartory-Saal dürfen sie ebenfalls nicht fehlen. »Wir sehen uns als Bestandteil des traditionellen Kölner Karnevals«, sagt Knappstein. Gleichwohl ist die 2003 gegründete StattGarde etwas Besonderes: Sie hat rosa Wurzeln. Die Mehrheit ihrer rund 420 Mitglieder ist schwul. Der 42-Jährige ist seit 2006 mit an Bord.

»Klar gibt es auch welche, die uns nicht buchen«, weiß Knappstein. »Aber wir haben bestimmt doppelt so viele Auftritte wie die Blauen Funken oder die EhrenGarde, weil wir ein komplettes Bühnenprogramm mit Kapelle, Shanty-Chor und Tanzkorps bieten.«

Im Kölner Karneval sind die StattGardisten gefeierte Stars. Trotzdem macht Homophobie auch und erst recht nicht vor dem Karneval halt, nicht einmal in der Domstadt, die als eine Hochburg der homosexuellen Szene in Deutschland gilt. Doch Köln zeigt sich nicht offen, sondern höchstens dezent. »Wenn einer im tobenden Saal mit verschränkten Armen auf die Bühne sieht oder rausgeht, ist in der Regel klar, was für ein Problem er hat«, sagt Knappstein. »Ich bin jemand, der so etwas schnell sieht, vielleicht hängt das mit meiner jüdischen Geschichte zusammen.«

Bereits der Vater war ein Vollblutkarnevalist

Sein Engagement im ehrenamtlichen sechsköpfigen Vorstand der StattGarde nimmt Knappstein nicht auf die leichte Schulter. Schließlich ist Karneval in Köln eine ernste Angelegenheit. Wer hier mitmachen will, muss eine große Portion Verbindlichkeit mitbringen. Die zahlreichen Termine müssen sorgsam koordiniert, die Auftritte gut geplant sein. Da wird nichts dem Zufall überlassen. Genau das richtige für Knappstein. »Ich bin ein Organisationsmensch«, sagt er. »Wenn ich einem Verein beitrete, bleibe ich deshalb auch selten lange einfaches Mitglied.«

Seine Karnevalsbegeisterung hat der schlanke Mann mit rotem Haar und Vollbart von seinen Eltern geerbt. »Mein Vater war ein Vollblutkarnevalist«, erzählt er. Knappstein wuchs im wenige Kilometer von Köln entfernten Niederkassel auf. Wer in dem kleinen Städtchen etwas auf sich hielt, war selbstverständlich Mitglied der örtlichen Karnevalsgesellschaft. »Meine Eltern genossen hohes Ansehen, waren sehr gut integriert«, sagt er. Über ihr Jüdischsein sprachen sie nicht. »Für meine Mutter war es wichtig, dazu zu gehören, das war ein wichtiger Punkt.« Versteckt hatte sie als Kind den Holocaust überlebt.

Aaron Knappstein ist Mitglied der kleinen Jüdischen Liberalen Gemeinde in Köln. Im Hauptberuf verdient er sein Geld als Personaldisponent in Leverkusen bei der landeseigenen START Zeitarbeit NRW. Daneben arbeitet er für das Kölner NS-Dokumentationszentrum und macht Stadtführungen, in denen er die Vielfalt des Kölner Judentums in Vergangenheit und Gegenwart vermittelt. Auch den verschütteten jüdischen Karnevalstraditionen spürte Knappstein nach. So half er mit, Kontakte zu der in New York lebenden Tochter von Hans Tobar zu knüpfen. Der jüdische Conférencier, Liedertexter und Autor trat in der Weimarer Republik in den größten Sälen der Stadt auf. »Damals gab es sogar einen eigenen jüdischen Karnevalsverein, den Kleinen Kölner Karnevalsklub der Gebrüder Salomon«, sagt Knappstein. Aber nach 1933 marschierte auch der Karneval in der Domstadt schnell im NS-Gleichschritt. Für Juden war kein Platz mehr. Hans Tobar und Max Salomon emigrierten in die USA, Willi Salomon nach Palästina. Es hat lange gedauert, bis die Kölner Karnevalsgesellschaften begannen, sich ihrer braunen Vergangenheit zu stellen.

Wie feiern Juden eigentlich Karneval?

Für die StattGarde organisierte Knappstein eine Führung zum Thema »Juden und Karneval«. Der Untertitel war: Wie feiern Juden Karneval? »Da waren alle ganz gespannt«, berichtet er mit einem verschmitzten Grinsen. »Und als ich dann gesagt habe: Wie alle anderen auch - da waren sie ganz enttäuscht.« Ob er der einzige Jude im Vorstand einer Kölner Karnevalsgesellschaft ist? »Ich weiß es nicht, aber es ist ja auch schön, dass man das nicht weiß«, sagt er.

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