nd-aktuell.de / 13.02.2013 / Politik / Seite 8

Gorleben muss raus - aber nicht sofort

Rot-grüne Koalition in Niedersachsen besteht nicht mehr auf Vorab-Ausschluss des Standorts

Reimar Paul
Die künftige rot-grüne Regierung in Niedersachsen hatte angekündigt, dass Gorleben als Endlagerstandort ausgeschlossen wird. Im Entwurf des Koalitionsvertrages liest sich das nun etwas anders.

Die künftige Landesregierung in Niedersachsen stellt fest, »dass der Salzstock von Gorleben nicht als Endlager für hochradioaktiven Müll geeignet ist und daher endgültig aufgegeben werden muss.« Sie sieht »die Gefahr, dass bei einem Verbleib Gorlebens im Suchverfahren die Sicherheits-, Ausschluss- und Abwägungskriterien auf Gorleben zugeschnitten werden würden«.

So steht es im Entwurf des Koalitionsvertrages von SPD und Grünen, der heute den Parteien zugeleitet werden soll, »nd« aber schon gestern vorlag. Zur Voraussetzung für eine Zustimmung des Landes zu einem Endlager-Suchgesetz machen die Koalitionäre den Vorab-Ausschluss Gorlebens entgegen den Wahlkampfversprechen des designierten Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) allerdings nicht mehr.

In den vergangenen Tagen hatten widersprüchliche Äußerungen der rot-grünen Verhandlungsführer zum Thema Gorleben für einige Verwirrung gesorgt. Atomkraftgegner warfen Weil schon am Freitag ein »Zurückrudern« vor. Die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg kritisierte Äußerungen des Regierungschefs in spé, wonach Niedersachsen nur einem Gesetz zustimmen werde, »in dessen Ergebnis Gorleben als Endlager-Standort ausscheidet«.

Druck aus Berlin?

»Die klare Aussage vom Donnerstag war dahin«, sagte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. Da hatten Weil und sein künftiger Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) nämlich noch erklärt, Gorleben solle von vornherein bei der Endlagersuche ausgeschlossen werden. Diese Position bekräftigte Weil noch am Sonntag in einem Zeitungsbeitrag. »Es liegt auf der Hand, dass der Bund und die anderen 15 Länder schnell ein Endlagersuchgesetz beschließen wollen, das auch den Standort Gorleben einschließt«, schrieb er in einem Gastkommentar für die »Bild am Sonntag«. »Dem wird die neu gewählte niedersächsische Landesregierung nicht zustimmen.«

Für den Schlingerkurs haben die Umweltschützer eine Erklärung. SPD und Grüne des Landes stünden »unter Druck der Berliner Verhandlungsführer« und seien offenbar »nicht einmal Herr im eigenen Land«, argwöhnt BI-Sprecher Ehmke. Auch die CDU hat einen »abrupten Kurswechsel« bei Weil ausgemacht. Er sei beim Thema Gorleben »umgekippt« und nunmehr »in der politischen Realität gelandet«. Offenbar sei Weil »von seiner Parteispitze zurückgepfiffen worden, um den bundesweiten Konsens in der Endlagersuche nicht im Namen der SPD gegen die Wand zu fahren.«

Die »Parteispitzen« von SPD und Grünen im Bund halten gar nichts von einem Vorab-Ausschluss. Für die Erkundung Gorlebens wurden bereits 1,6 Milliarden Euro ausgegeben. Die Atomwirtschaft, so eine Befürchtung, könnte klagen und Schadensersatz geltend machen. Zudem könnten andere Bundesländer aus einem bundesweiten Suchverfahren aussteigen und betroffene Anwohner bei einem möglichen Alternativort immer auf das Beispiel Gorleben verweisen. Stattdessen sollen die Kriterien für ein Endlager so streng gefasst werden, dass Gorleben sie nicht erfüllen kann.

Totaler Neuanfang

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin - wie Gabriel einer der bisherigen Verhandlungspartner von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) im Endlager-Poker - sah in den Äußerungen von Weil und Wenzel im Übrigen keinen Widerspruch zur eigenen Linie. Er habe die Koalitionsvereinbarung in Niedersachsen so gelesen, dass SPD und Grüne nicht wollten, dass der Standort Gorleben die Kriterien für alle anderen Standorte abliefere, sagte Trittin am Wochenende. Da lag der Entwurf für den Koalitionsvertrag allerdings noch gar nicht vor.

Dem Text der Vereinbarung zufolge dringen SPD und Grüne in Niedersachsen nun auf einen »echten Neubeginn« bei der Endlagersuche und eine »substanzielle Aufarbeitung der Fehlentscheidungen der Vergangenheit«. Alle beteiligten Verantwortungsträger auf Ebene der Länder, des Bundes und der EU müssten eine weitgehende Bürgerbeteiligung, die Bereitschaft zur Finanzierung von Bürgeranwälten, die Achtung der Wissenschaftsfreiheit und die Veröffentlichung aller mit öffentlichen Mitteln finanzierten wissenschaftlichen Untersuchungen zusagen.