nd-aktuell.de / 15.02.2013 / Politik / Seite 2

Proteste gehören zum Alltag

Wirtschaftliche Krise, schamlose Bereicherung: Am Jahrestag der Unabhängigkeit gibt es nichts zu feiern

Hannes Hofbauer
Am 17. Februar jährt sich zum fünften Mal die einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos. Zuvor stand das Gebiet ein knappes Jahrzehnt unter UN-Verwaltung, nachdem die NATO 1999 die gewaltsame Abtrennung der mehrheitlich albanisch besiedelten südserbischen Provinz vom damaligen Jugoslawien unterstützt hatte. Umstritten ist die Unabhängigkeit Kosovos nach wie vor, unbestritten bleibt seine andauernde Unselbstständigkeit.

Zum 5. Jahrestag der einseitig ausgerufenen Unabhängigkeit am 17. Februar gibt es in Kosovo nicht viel zu feiern. Selbst hart gesottene albanische Nationalisten sehen ihre Träume in weite Ferne gerückt. Die UN-Resolution 1244, nach der Kosovo ein »integraler Bestandteil Jugoslawiens« bleibt, ist nach wie vor in Kraft, und mit ihr die sogenannte »Statusneutralität« des kleinen Balkanlandes, womit die Weltgemeinschaft ihre Ratlosigkeit in Bezug auf die Lösung der Statusfrage juristisch umschreibt. Immer noch tummeln sich Tausende »Internationale« in allerlei zivilen, rechtlichen und militärischen Missionen und dokumentieren mit dicken Allradautos und fetten Gehältern den kolonialen Charakter ihres Aufenthalts.

Noch nicht einmal eine nationale Telefonvorwahl konnte erreicht werden, weshalb man seit Jahren mit monegassischen Mobiltelefonnummern operiert. Und seit das Parlament in Prishtinë (serbisch Priština) vor eineinhalb Jahren die Einführung von islamischem Religionsunterricht sowie das Tragen von Kopftüchern für Mädchen an den Schulen verboten hat, ist die Zahl der Staaten, die Kosovo anerkennen, sogar zurückgegangen: Das arabische Sultanat Oman interpretierte die religionskritischen Töne offensichtlich als islamfeindlich und zog sein Anerkennungsschreiben »mangels Vollzug«, wie es hieß, zurück.

97 (von 193) UN-Mitgliedstaaten sehen in Kosovo einen unabhängigen Staat, selbst innerhalb der EU herrscht in dieser Frage keine Einigkeit. Die größten Probleme liegen jedoch im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Europaweit führend ist das 1,8 Millionen Einwohner zählende Land bei der Arbeitslosigkeit. Offiziell wird sie mit 44 Prozent ausgewiesen, die Gewerkschaft BSPK spricht von 60 Prozent. Die Armutsstatistik folgt dem Befund vom faktisch nicht existierenden Arbeitsmarkt: Jeder sechste Kosovare hat weniger als einen Euro pro Tag zur Verfügung. Arbeiterlöhne liegen zwischen monatlich 200 und 300 Euro, Renten von 50 Euro sind keine Seltenheit. Ohne regelmäßige Überweisungen von Familienmitgliedern aus der kosovarischen Diaspora, die jährlich mit schätzungsweise 500 Millionen Euro zu Buche schlagen, könnten viele Menschen hier nicht überleben.

Proteste gegen Preiserhöhungen und die korrupte politische Elite gehören mittlerweile zum Alltag. Zuletzt waren am 7. Februar wieder knapp 2000 Menschen auf den Straßen, um gegen die Verdoppelung des Strompreises innerhalb eines Jahres zu protestieren. Der einzige Stromversorger des Landes, die KEK, hat unter neuer türkischer Eigentümerschaft die Preisschraube angezogen. Daraufhin versuchten die Demonstranten, die Zentrale des Strommonopolisten zu stürmen, wurden aber - wie schon im Oktober 2012, als 66 Personen verhaftet worden waren - von der Polizei zurückgedrängt.

Der billige Ausverkauf ehemals sozialisierter Betriebe stößt vor allem bei der links-nationalen Gruppe Vetëvendosje (VV - Selbstbestimmung), die bei den vergangenen Wahlen 12,5 Prozent Zustimmung erhielt, auf Widerstand. Zu schamlos und offensichtlich bedienen sich ehemalige Weggefährten aus den Zeiten, in denen gemeinsam Krieg gegen Belgrad geführt wurde, an den wenigen Filetstücken der kosovarischen Wirtschaft.

Die schamlose Bereicherung findet indes nicht nur vermittels mafiotischer Strukturen innerhalb der albanischen Elite statt, sondern auch die Alliierten des Jahres 1999 sind daran beteiligt. So ritterte die US-Firma »Albright Capital Management« der gleichnamigen ehemaligen US-Außenministerin um den Mehrheitsanteil des Post- und Telekomunternehmens PTK und der frühere NATO-Oberkommandierende Wesley Clark hält als Vorsitzender des Konzerns Envidity die Hand über große Kohlevorkommen in Kosovo. Für US-amerikanische Kriegsherren hat sich der Einsatz für Kosovo also auch persönlich gelohnt, die Mehrheit der Kosovaren lebt heute allerdings schlechter als zu jugoslawischen Zeiten.