Kein Sex mit Neandertalern?

Wissenschaftler datieren Fossilienfunde neu

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 2 Min.

Nachdem die Neandertaler fast 100 000 Jahre lang weite Teile Europas besiedelt hatten, zogen sie sich zuletzt auf die Iberische Halbinsel zurück und starben dort vor rund 35 000 Jahren aus. So jedenfalls die gängige Lehrmeinung, aus der auch folgt, dass der Neandertaler und der anatomisch moderne Mensch, der vor etwa 40 000 Jahren in den Südwesten Europas vordrang, hier eine Zeitlang nebeneinander existierten.

Dieses Szenario beruht auf der Datierung fossiler Funde mit Hilfe der Radiokarbonmethode, bei der die Zerfallsrate von radioaktivem Kohlenstoff C-14 als Zeitmesser dient. Allerdings kann das Ergebnis durch nachträgliche Verschmutzungen erheblich verzerrt werden. Gelangt zum Beispiel in eine 50 000 Jahre alte Knochenprobe nur ein Prozent Kohlenstoff aus heutiger Zeit, wird das Alter der Probe auf etwa 37 000 Jahre verfälscht.

Um einen solchen Fehler zu vermeiden, hat ein Forscherteam um Rachel Wood von der Universität Oxford mehr als 200 iberische Neandertaler-Knochen vor der Datierung mittels Ultrafiltration gründlich gereinigt. Von den Proben, die aus elf Höhlen stammten, ließen sich daraufhin aber nicht alle verlässlich auswerten. Nur an zwei Fundorten, die gemeinhin als die letzten europäischen Fluchtstätten des Neandertalers gelten, waren die Forscher erfolgreich. Die hier gefundenen Knochen seien mindestens 10 000 Jahre älter als bisher angenommen, berichten Wood und ihre Kollegen in den »Proceedings« der US-Wissenschaftsakademie (doi: 10.1073/ pnas.1207656110).

Sollte der Neandertaler tatsächlich vor über 45 000 Jahren in Spanien ausgestorben sein, hätte er in Westeuropa gar nicht mit dem Homo sapiens zusammentreffen können. Damit wäre auch die Erklärung hinfällig, dass die hohen kulturellen Leistungen der europäischen Neandertaler teilweise auf den Einfluss des modernen Menschen zurückzuführen seien. Ein Problem freilich bleibt: Jeder Europäer trägt zwei bis vier Prozent der Neandertaler-Gene in sich, was den Schluss nahe legt, dass sich beide Menschenarten irgendwann vermischt haben. Das sehen jedoch nicht alle Forscher so. Manche erklären die genetischen Daten ohne die Hypothese einer sexuellen Vermischung. Sie nehmen vielmehr an, dass zufällig eine Population von modernen Menschen Afrika verlassen hat, die noch eine besonders große genetische Ähnlichkeit mit dem gemeinsamen Vorfahren von Homo sapiens und Neandertaler aufwies.

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