Gefroren seit 2,5 Millionen Jahren

Potsdamer Wissenschaftler bestimmten mit Bohrung an ostsibirischem Kratersee erstmals Alter des Permafrostbodens

  • Gert Lange
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine der Unwägbarkeiten in den heutigen Klimamodellen sind die Permafrostböden am Rande der Arktis. Wie weit sie bei einer Erwärmung auftauen und wie viel Treibhausgase sie dabei freisetzen. Unbekannt war bislang sogar, seit wann die Böden im Norden Amerikas und Sibiriens überhaupt dauerhaft gefroren sind. Eine 141 Meter tiefe Bohrung am Rand des sibirischen Kratersees Elgygytgyn (»Weißer See«) brachte nun Klarheit.

Der Geowissenschaftler Georg Schwamborn von der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (Bremerhaven) fand einen Indikator, eine Eigenschaft, die zweifelsfrei und ausschließlich dem Permafrost zugeordnet werden kann. Eine nicht sehr prominente russische Publikation, die die Abbildung eines Quarzkorns enthielt, das durch Frostverwitterung - den ständigen Wechsel von Kälte und Tauprozessen - deutliche Risse und viele Poren aufwies, brachte ihn auf die Idee: Die mit dem Rasterelektronenmikroskop erkennbaren Gestaltveränderungen des Quarzes waren ein perfekter Permafrost-Anzeiger. Dass es ausgerechnet Quarz sein sollte, den wir in unseren Breiten als sehr beständiges Mineral kennen, das bei krassen Temperaturwechseln aufgesprengt wird, überrascht zunächst, aber die Beobachtung an gegenwärtigen Bodenproben bestätigte, dass Quarz auf Frost-Wärme-Stress empfindlich reagiert und zerbricht. Schwamborn hat daraufhin den Anteil des erodierten Quarzes in den einzelnen Schichten des Bohrkerns gemessen. In den tieferen Zonen wurden die gesprungenen Quarzpartikel deutlich seltener. Der Umschlagspunkt liegt bei einem Alter von 2,5 Millionen Jahren im Erdzeitalter des Quartär. Seit jener Zeit also gibt es auf der Nordhalbkugel Permafrostboden.

Schwamborn ist überzeugt, dass dieses Ergebnis repräsentativ für den sibirischen Polarkreis ist, d.h. für Nordostsibirien bis zur Taimyr-Halbinsel. Denn dieses Gebiet blieb auch während der Eiszeit eisfrei. Dagegen waren Kanada, Alaska und die europäische Arktis damals überwiegend von Gletschern bedeckt. Nur im Vorfeld und erst als die Gletscher tauten, konnte sich dort tiefgehender Permafrost bilden, weil es kalt und trocken war. Deshalb ist der nordamerikanische Permafrost jünger als der sibirische. In Europa ist er fast gänzlich verschwunden.

Aber auch die Permafrostgebiete blieben über die Jahrmillionen nicht die immer gleiche Kältewüste. Der Bohrkern zeigt Intensitätsschwankungen, beispielsweise das holozäne Wärmemaximum vor ungefähr 8000 Jahren. In diesem Bohrhorizont sind die Erscheinungen der Quarzverwitterung besonders deutlich. Was bedeutet, dass die Sommer wärmer waren und die Winter nach wie vor kalt, die Temperaturunterschiede waren größer, so dass das Gestein schneller zerbrach.

Sandlagen im Bohrkern zeigten, dass der Wasserspiegel des Elgygytgyn zeitweise höher lag als heute und der Bohrort unter Wasser stand. In solchen Phasen muss es sehr feucht gewesen sein. Ein solches Niederschlagsmaximum konnte auf die Zeit vor etwa 13 000 Jahre datiert werden. Pollenuntersuchungen lassen trotz der Permafrostbedingungen auf eine reichhaltige Vegetation in dieser Zeit schließen. Zeitweise wuchsen dort Bäume. Kleine Birkenhaine hatten sich ausgebreitet, wo heute nur noch karge Tundra und Schutt sind. Auch das mikrobielle Leben in den Bodenhorizonten war in warmen Zeiten deutlich reichhaltiger als in kalten.

Die Arbeitsbedingungen der Forscher gestalteten sich wenig angenehm. Die Wohncontainer mussten mit Traktoren über 300 Kilometer zu dem einsamen Krater im Bergland von Tschukotka geschleppt werden. Gebohrt wurde in zwei Schichten bei bis zu 30 Grad Frost. Heftige Schneestürme sorgten immer wieder für Unterbrechungen der Arbeiten. Doch garantierten die winterlichen Bedingungen, dass die gehobenen Permafrostkerne an der Oberfläche nicht tauen konnten. Der Bohrturm war bisher für Goldsuche eingesetzt worden, wofür man normalerweise nicht tiefer als bis 40 Meter bohrt. Die russische Mannschaft engagierte sich begeistert für die ungewohnte Aufgabe.

Es gibt in Sibirien tiefere Sondierungen ins Erdinnere, aber keine wurde wissenschaftlich so umfassend ausgewertet wie diese. Im Bohrloch ist bis zum Grund eine moderne Messkette eingebracht worden. Sie hat die niedrigste Temperatur, minus 6,7 Grad Celsius, in einer Tiefe von 60 Metern erfasst. Das ist insofern erstaunlich, da sie, von heutigen Oberflächentemperaturen ausgehend, nur minus vier Grad betragen sollte. Das heißt, die letzte Eiszeit hat noch ein frostiges Erbe im Permafrostboden hinterlassen; die Kälte von damals ist immer noch nicht vollkommen abgeklungen.

Die Erkenntnisse der Potsdamer Polarforscher fanden zum Teil Eingang in die Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) über den Zustand der globalen Permafrostgebiete. Der Bericht fordert die Regierungen auf, dieses Wissen stärker in die Klimadebatte einzubeziehen, vor allem auch, weil diese Gebiete zu den größten Kohlenstoffspeichern der Erde gehören und deren nachweisliche Erwärmung den Treibhauseffekt verstärkt. »Die Bedeutung des Permafrostes ist viel zu lange vernachlässigt worden«, sagt der Potsdamer Mitautor der Studie Hugues Lantuit. »Die künftigen Veränderungen des Permafrostes und die damit verbundenen Folgekosten sind eine große Herausforderung für die Gesellschaft.« Die nächste Expedition der Potsdamer Polarforscher startet im April zur Samoylow-Insel im Lenadelta.

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