Gegen Ängste

Zum Tode von Otfried Preußler

  • Marc Hairapetian
  • Lesedauer: 3 Min.

Otfried Preußler war nicht nur ein großartiger Schriftsteller, der die Grenzen von Kinder-, Jugend- und Erwachsenenliteratur mühelos überwand, er war auch ein wunderbarer Mensch. Meine Tochter hörte schon als Kleinkind mit mir zusammen die Hörspiele vom »Räuber Hotzenplotz«. Ihr liebstes Spielzeug war eine kleine Hotzenplotz-Fingerpuppe, die Kasperle, Prinzessin und Co. regelmäßig die Show stahl. Ihr größter Wunsch war es, den Räuber einmal kennen zu lernen. Ich sagte ihr, dass das schwierig wäre, da er doch in einem Fantasiereich, dem Land der Literatur, leben würde.

Doch sie bedrängte mich weiter und so kam mir eine Idee: Zwei Tage vor ihrem dritten Geburtstag schrieb ich Otfried Preußler einen Brief mit der Bitte, ein paar Zeilen an meine Tochter zu richten, die ich ihr vorlesen könnte. 48 Stunden später hatte sie Post - und zwar vom Hotzenplotz höchstpersönlich, der es sich nicht nehmen ließ, eine Zeichnung von sich auf dem Briefbogen zu hinterlassen. Er wünschte ihr einen »wunderbaren Ehrentag« und endete mit »lustigen Rrrrrrrrrrrrrrräuber-grüßen!« Im Post Skriptum stand: »Mein geistiger Vater, der Otfried Preußler, gratuliert Dir übrigens auch ganz herzlich!« Der eingerahmte Brief hat heute noch in der Küche neben einem Hotzenplotz-Plakat einen Ehrenplatz.

Der am 20. Oktober 1923 in Reichenberg (damalige Tschechoslowakei) geborene und nun am 18. Februar in Priem am Chiemsee verstorbene deutsch-böhmische Autor, der nach dem entbehrungsreichen Zweiten Weltkrieg (fünf Jahre verbrachte der damalige Offizier mit Typhus, Malaria und Fleckfieber in tatarischen Gefangenenlagern) auch eine Zeit lang als Journalist tätig war, hatte Leser in der ganze Welt. Meine vietnamesische Freundin liest auch noch als Erwachsene seine hochdekorierten Erzählungen, ob es sich nun um »Der kleine Wassermann« (1957), »Die kleine Hexe« (1958) »Der Räuber Hotzenplotz« (1963), »Das kleine Gespenst« (1967) oder »Neues vom Räuber Hotzenplotz« (1970) handelt.

Kritikern, die ihm nach 1968 vorhielten, man könne Kindern heute keine Geschichten mehr von Wassergeistern, Feen und Krokodildackeln erzählen, hielt er entgegen: »Gehört nicht zum vollen Menschsein auch die Fähigkeit zu fantasieren und träumen?«. Der Vater dreier Töchter, der von 1953 bis 1970 trotz seines literarischen Erfolgs weiter als Volksschullehrer und später als Rektor immer im direkten Kontakt mit Kindern arbeitete, wollte keine »Lehrstücke schreiben, sondern Geschichten, die ihnen auf dem Weg der Poesie helfen, mit mancherlei Ängsten besser fertig zu werden«.

Als sein »Meisterwerk« bezeichnete er seine Adaption der sorbischen »Krabat«-Sage. Den Roman »Krabat«, in dem sich ein verwaister Lehrling gegen einen bösen Hexenmeister in der »Schwarzen Mühle am Koselbruch« auflehnt und am Ende als verwandelter Rabe durch die Liebe der jungen Kantorka erlöst wird, las er 1983 in einem dreiteiligen Hörbuch selbst ein. Karel Zemans 1977 entstandenen Trickfilm mochte er übrigens lieber als Marco Kreuzpaintners Realverfilmung mit David Kross von 2008.

Zuletzt war Preußler, dessen Bilderbuchbearbeitung vom »kleinen Wassermann« (»Sommerfest im Mühlenweiher«) soeben erschienen ist, ungewollt in die Schlagzeilen geraten, da der Thienemann Verlag zwei Kapitel von »Die kleine Hexe« »sprachlich modernisieren« will. So dürfen in der ab Juli erscheinenden Neuausgabe Kinder nicht mehr ihre »Schuhe wichsen« oder sich »als Neger, Chinesenmädchen oder Türke verkleiden«.

»Preußlers Todesumstände sind noch ungewiss. Auf seiner Webseite steht nur: «Die Präsentation wird gerade überarbeitet.» Doch ich bin sicher - im Reich der Fantasie wird er jetzt mit Hotzenplotz und vielleicht auch mit Michael Ende, den er sehr mochte, weitere Geschichten aushecken.«

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