Sinneswandel in Brüssel

EU-Kommission fordert Mitgliedsstaaten zu Investitionen in soziale Sicherungssysteme und Armutsbekämpfung auf

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 3 Min.
Es sind keine verbindlichen Vorgaben, aber die EU-Kommission hat mit ihrem Sozialinvestitionspaket der Abkehr von der Sparpolitik in Europa die Tür geöffnet.

Rekordarbeitslosigkeit, wachsende Armut und sinkende Wirtschaftsleistung - Europa steckt mehr denn je in der Krise. Nach Jahren des Sparzwangs mahnt nun ausgerechnet die Europäische Kommission Investitionen in die sozialen Sicherungssysteme, in Bildung und Gesundheitsfürsorge an. Am Mittwoch stellte EU-Sozialkommissar László Andor ein Sozialinvestitionspaket in Brüssel vor. Darin fordert die EU-Kommission die 27 Mitgliedsstaaten dazu auf, mehr Gewicht auf soziale Investitionen zu setzen und ihre Systeme der sozialen Sicherheit zu modernisieren. Dazu gehöre vor allem ein effizienterer und effektiverer Einsatz von Haushaltsmitteln. »Sozialinvestitionen sind der Schlüssel, wenn wir stärker, solidarischer und wettbewerbsfähiger aus der aktuellen Krise hervorgehen wollen«, sagte Andor. In diesen Bereich zu investieren helfe zudem »zu verhindern, dass die Mitgliedsstaaten später einen sehr viel höheren - finanziellen und sozialen - Preis zahlen müssen.«

Andor, der erst Anfang Januar einen erschreckenden Sozialbericht über eine sich verschärfende Spaltung Europas in den vergangenen fünf Jahren vorgelegt hatte, verwies auf die massiven ökonomischen und sozialen Probleme durch die Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Sozialsysteme stünden angesichts hoher finanzieller Belastungen, zunehmender Armut, Rekordarbeitslosigkeit, einer alternden Bevölkerung und eines sinkenden Anteils von Menschen im erwerbsfähigen Alter vor »enormen Herausforderungen«.

Der ungarische Ökonom vermied es aber, die Probleme auf die Sparpolitik vieler Regierungen zurückzuführen, die ihnen zum Teil von der Gläubigertroika auferlegt wird, zu der neben dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank eben auch die EU-Kommission gehört. Nur soviel: »Nur zu sparen und zu kürzen, zahlt sich langfristig nicht aus.« In Zeiten großer Zwänge müsse besonders auf Effizienz geachtet werden. Daher enthält das Kommissionspapier Leitlinien für eine gezieltere Sozialpolitik und eine optimale Verwendung der EU-Finanzhilfen, insbesondere aus dem Europäischen Sozialfonds.

Die EU-Kommission empfiehlt, einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung von Kinderarmut zu legen. Investitionen in Kinder und junge Menschen seien ein besonders wirksames Mittel, den generationenübergreifenden Kreislauf von Armut und sozialer Ausgrenzung zu durchbrechen und die Chancen im späteren Leben zu verbessern. Die EU-Kommission spricht sich auch für mehr Geld für Kinderbetreuung, Bildung und Arbeitsvermittlung aus.

Das Sozialinvestitionspaket stützt sich auf Analysen der Politik der EU-Mitgliedsstaaten. Andor machte daher auch Angaben über die Erfolge einzelnen Länder. So geben Deutschland und Schweden, gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung, etwa gleich viel für soziale Sicherheit aus. Schweden habe aber bessere Ergebnisse vorzuweisen. Ein Problem liegt laut Andor vielerorts darin, dass Behörden für Sozialleistungen zuständig sind. Er empfahl, einheitliche Anlaufstellen für Hilfebezieher einzurichten. So wäre es auch einfacher, die Menschen zu informieren und individuell zu behandeln.

Die Vorschläge der EU-Kommission sind für die Mitgliedsstaaten nicht bindend. Allerdings kündigte die Kommission an, sie werde gegebenenfalls länderspezifische Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters zur Budgetpolitik geben.

Die Grünen-Europaabgeordnete und Vizepräsidentin des Beschäftigungs- und Sozialausschusses, Elisabeth Schroedter, erklärte ihre Freude »über den Sinneswandel der Kommission«. Mit dem Maßnahmepaket habe sie die Position des EU-Parlaments übernommen.

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