nd-aktuell.de / 28.02.2013 / Brandenburg / Seite 12

Castorfs Zarte

Die Volksbühnen-Schauspielerin Susanne Düllmann wird 85

Hans-Dieter Schütt

Die Zarte inmitten des Polterbetriebs. Die Stille im Brüllkonzert. Susanne Düllmann: Just sie, die Sanfte, erlebte ihr sehr späten Bühnenjahre bei - Frank Castorf. Die Zerbrechliche im Turntheater. Die Holde im Heftigkeitstrubel. Die Zähe im Zerreißprobengeschäft.

Über ein halbes Jahrhundert Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz - das hat Einmaligkeitswert, das erzählt von einer aktiven Treue, die mitunter wohl mehr Einsatz, Energie, Elastizität fordern mag als die Gangart der Wechsel. Düllmann, »Berliner Staatsschauspielerin« (wie Curt Bois, Carl Raddatz, Bernhard Minetti), war Tänzerin in Chemnitz; Walter Felsenstein animierte sie an der Komischen Oper zum Singen, von da an war es nur ein kleiner Schritt zur Schauspielerei. Fritz Wisten hieß ihr erster Intendant am Rosa-Luxemburg-Platz, Frank Castorf ihr letzter. Ein künstlerisches Leben mit Regisseuren wie Benno Besson, Fritz Marquardt, Manfred Karge, Matthias Langhoff.

Es ist unbedingt ein Teil von Castorfs Größe, als der 1990, in den Zeiten von Agonie und Aufbruch zugleich, den Bühnengroßkasten am Tor zum Prenzlauer Berg übernahm: Er, provokativer, unbekümmerter Umkehrer aller Spielformen und Strukturen, wurde in einem Punkte doch ein Bewahrer - er gab alten Barden eine neue Heimat. Statt Abwicklung dieser Älteren deren lustvolle Verwicklung ins Neue. Ran, Veteran!

Susanne Düllmann wie Ulrich Voss oder Karin Ugowski, Jürgen Rothert oder Annekathrin Bürger, Harald Warmbrunn, Wilfried Ortmann oder Joachim Tomaschewsky: Sie alle, die nichts mehr zu verlieren hatten, steigerten sich zum großen Gewinn für die berlinmittige Räuberbande. Sie alle, die nichts mehr gewinnen mussten, zeigten der neuen Zeit, wie man die Angst vor ihr verliert. Schauspiel als Rückeroberung einer Lust, die wahrlich Freiheit offenbarte. Leben, weiter mit Drang, aber ohne jeden Druck, und ohne jede Not einer Beweisführung, die für Jüngere oftmals nur ein anderes Wort für Sklaverei ist.

Susanne Düllmann war zu sehen auch im Kultereignis »Murx den Europäer!« und anderen Inszenierungen von Christoph Marthaler; ihre bleibend mädchenhafte Verlorenheit, ihre Entrücktheit, die seit jeher etwas Listiges, Widerständisches besitzt, verstärkte des Schweizers bitterwitzige Oratorien der Einsamkeit stets um eine schöne, trotzige Melancholie.

Eine durchhaltefrohe Außen-Seiterin, als Blickfang für jeden, der Wärme sehen wollte. Wonne des tätigen Weltwillens. Geboren wurde Susanne Düllmann vor 85 Jahren, an einem 29. Februar.