Schünemanns Schatten

Auch im rot-grünen Niedersachsen wird rücksichtslos abgeschoben

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Trotz des Regierungswechsels in Niedersachsen: Abschiebung nach Hardliner-Manier. Aber es gibt auch eine gute Nachricht, denn am Sonntag soll die vor acht Jahren abgeschobene Gazale Salame zurück nach Deutschland kommen.

Eine gute und eine betrübliche Nachricht bewegen dieser Tage viele Menschen, die sich für das Schicksal von Flüchtlingen interessieren: Die vor acht Jahren in die Türkei abgeschobene Kurdin Gazale Salame und zwei ihrer Kinder kehren am Sonntag nach Niedersachsen zurück. Im selben Bundesland ist dieser Tage aber auch durch eine nächtliche Abschiebung eine Roma-Familie auseinandergerissen worden. Dies hat Empörung ausgelöst, weil von der rot-grünen Landesregierung eine Abkehr vom Hardliner-Stil des ehemaligen Innenministers Uwe Schünemann (CDU) erwartet worden war.

Einen »Paradigmenwechsel in der Abschiebungspraxis« haben SPD und Grüne in ihrem Bündnispapier festgeschrieben. Um zu beweisen, dass den Worten auch Taten folgen, verfügte Innenminister Boris Pistorius (SPD) schon zwei Tage nach seinem Amtsantritt: Gazale Salame und Kinder bekommen sofort ein Visum für die Rückkehr nach Deutschland. Zusammen mit ihrer einjährigen Tochter war die schwangere Frau 2005 abgeschoben worden. Sie wurden abgeholt, als der Vater zwei weitere Töchter zur Schule brachte. Der Mann und die beiden Kinder blieben in Hildesheim.

Stolz verkündete jetzt die SPD-Landtagsfraktion: Die sofortige Freigabe des Visums sei die erste Amtshandlung ihres Ministers gewesen; er habe damit eine humanitäre Notlage beendet.

Weniger stolz mögen SPD und Pistorius darauf sein, dass offenbar in den Amtsstuben noch immer Leute sitzen, die stramm der gewohnten Linie des abschiebefreudigen Ministers Schünemann folgen. Vermuten lässt das ein Fall im Wendland. Für die Familie Osmani in Lüchow war am Samstag um 3.30 Uhr die Nacht zu Ende. Vor der Wohnung der Roma standen Polizisten und ein Vertreter der Ausländerbehörde. Mutter Vasvijy und zwei Söhne, sieben und 13 Jahre jung, mussten ihre Sachen packen - zum Abtransport, zum Flug nach Kosovo. Von dort waren die Osmanis vor 16 Jahren geflohen. Ein weiteres Kind, ein 16-Jähriger, war nicht zu Hause, er entging der Abschiebung. Als Minderjähriger darf er nicht allein bleiben, deshalb wurde auch Vater Osmani nicht abgeschoben.

Der »Arbeitskreis Asyl« im Wendland bezweifelt die Rechtmäßigkeit der Abschiebung, denn: Vasvija Osmani sei krank, sei traumatisiert, deshalb laufe zurzeit eine Klage auf Anerkennung der attestierten Krankheit als Abschiebehindernis. Bisherige Asylanträge der Familie waren gescheitert.

Lüchow-Dannenbergs parteiloser Landrat Jürgen Schulz berichtete, er habe als Chef der Ausländerbehörde die Abschiebung verhindern wollen. Doch Beamte aus dem Haus Pistorius hätten ihm dies untersagt. Schulz verweist auf eine E-Mail des Innenministeriums. Aus der gehe hervor, dass Pistorius über das Vorgehen gegen die Familie Osmani informiert gewesen sei.

Haben Mitarbeiter der einstigen Schünemann-Administration den Landrat belogen? Denkbar, denn: Pistorius sei »der konkrete Fall« nicht bekannt gewesen, so reagierte das Innenministerium in einer Presseerklärung. Der Chef sei nur »allgemein« über bevorstehende Abschiebefälle informiert worden. Nun werde er sich »diesen Einzelfall im Detail unverzüglich vorlegen lassen und unvoreingenommen prüfen«. Dann werde weiter entschieden.

Wenn es die Landesregierung mit einer neuen Bleiberechtspolitik ernst meine, müsse die Familie nach Deutschland zurückgeholt werden, fordert der Flüchtlingsrat Niedersachsen. »Entsetzt über die unverändert menschenunwürdige Abschiebepraxis« ist die Kreistagsfraktion der Sozial-Oekologischen-Liste Wendland. Ihr Sprecher Kurt Herzog sieht die »alte Schünemann-Manier« und bewertet den Koalitionsvertrag: Die darin enthaltenen Versprechen einer humanen Asylpolitik seien das Papier nicht wert, auf dem sie stehen.

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