nd-aktuell.de / 11.03.2013 / Kommentare / Seite 4

Märkte trinken kein Bier

Sabine Nuss über die Frage, ob man Märkte verstehen kann

Sabine Nuss

Der Chef der europäischen Zentralbank, Mario Draghi, gab letzte Woche Entwarnung: Die unklare politische Situation in Italien sei derzeit kein Risiko für die Euro-Zone. Also nochmal alles gut gegangen. Wie das Kaninchen vor der Schlange saß die Welt vor den Börsenkursen angesichts der Wahlerfolge für Beppe Grillo und Silvio Berlusconi. »Italien gefährdet Merkels Euro-Mission«, warnte das Handelsblatt. Vom Dominoeffekt war die Rede, gar ein Zusammenbruch der ganzen Euro-Zone wurde befürchtet. Und jetzt? »Die Märkte sind wieder da, wo sie vor der Wahl waren«, so Draghi. Und: »Die Märkte verstehen, dass wir in Demokratien leben.« Ich habe keine Ahnung, wo die Märkte vor der Wahl waren, ob sie einkaufen waren, mal schnell Zigaretten holen oder im Kino. Gerne würde ich mit den Märkten abends mal auf ein Bier in die Kneipe gehen. Märkte sind sensibel. Märkte hören genau hin. Märkte beobachten aufmerksam. Und jetzt verstehen sie sogar, dass wir in Demokratien leben.

Vielleicht könnten Märkte ja noch viel mehr verstehen, wenn man nur mal in Ruhe mit ihnen reden könnte? Man könnte ihnen sagen, dass es nicht so schlimm ist, wenn es den Leuten besser geht, sie mehr Lohn kriegen, weniger arbeiten müssen, wenn die Rente sicher wäre, wenn Energie, Wasser, Wohnen erschwinglich wäre, die Mieter nicht zwangsgeräumt würden. Wir könnten ihnen die Angst davor nehmen, sie trösten, in den Arm nehmen, uns von unserer nettesten Seite zeigen. Einfach mal ein offenes Wort. Aber das geht nicht. Märkte leben nicht. Sie haben keine Seele, keinen Verstand, keine Gefühle und sie trinken auch kein Bier.

Wenn so personalisierend von den Märkten die Rede ist, davon, dass sie sich entspannen oder fürchten, dann sind eigentlich fast immer die Finanzmärkte gemeint. In der Sprache der Nachrichtensprecher, Börsenanalysten, Wirtschaftsredakteure und Politiker führen sie ein Eigenleben. Ein sehr mächtiges. Dabei wissen wir es doch: Die Finanzmärkte sind kein Wesen, das nervös wird. Nervös werden allenfalls Institutionen, die Geld damit verdienen, auf eine bestimmte Zeit Kapital zu verleihen, auf dass es vermehrt zurück fließe: Banken, Investmentfirmen, Lebensversicherungen, Pensionsfonds, Unternehmen, Vermögende. Sie teilen die eine Absicht: Aus ihrem angelegten Kapital soll mehr Kapital werden.»«

Die Finanzmärkte scheinen deshalb ein Eigenleben zu führen, weil sich das Prinzip »aus Kapital mehr Kapital machen« dort so sehr in Abstraktum zeigt, wie nirgends sonst. In einer kapitalistischen Gesellschaft bestimmt diese Logik alle Lebensbereiche. Auf den Finanzmärkten zeigt sie sich jedoch in ihrer reinsten Form. Ich schieße Geld vor und bekomme später mehr zurück, ohne auch nur einen Finger krumm gemacht zu haben. Jeglicher Bezug zur sogenannten realen Wirtschaft scheint wie ausgelöscht. Der herrschenden Klasse passt das gut: Nicht sie sind schuld, wenn die Staaten sparen müssen, sondern die Märkte.

Also, wir können nicht mit den Märkten in die Kneipe. Aber wir können in den Fernsehnachrichten gucken, wie es ihnen geht. Haben sie schlechte oder gute Laune, gefällt ihnen unsere Performance, oder müssen wir den Gürtel noch enger schnallen, sparen, kürzen, wettbewerbsfähiger werden? Ach, übrigens: Kurz nachdem Draghi bekannt gab, dass sich die Märkte von der Italien-Wahl nicht haben erschrecken lassen, meldete die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, dass die Ratingagentur Fitch die Bonität des Landes noch mal herab gestuft hat. Es sei unwahrscheinlich, dass Italien eine stabile Regierung formen kann. War wohl nix mit »Demokratie verstehen«.