Energiepolitik soll in Bürgerhand

Manfred Braasch (BUND) über die Chancen des Hamburger Volksbegehrens zum Rückkauf der Netze

  • Lesedauer: 4 Min.

nd: Laut einer aktuellen Umfrage befürworten 64 Prozent der Hamburger den Rückkauf der Strom-, Wasser- und Fernwärmenetze, über den am 22. September ein Volksentscheid stattfindet. Wasser auf die Mühlen der Initiative »Unser Hamburg - unser Netz«?
Braasch: In der Tat ein tolles Ergebnis. Wir freuen uns über die sichtbare Zustimmung. Natürlich ist es eine Momentaufnahme und bis September ist es noch ein langer Weg. Wir werden den Volksentscheid weiter vorbereiten und die Bürger über die Vorteile der Rekommunalisierung informieren.

Warum trauern so viele Hamburger den Hamburger Electricitäts-Werken (HEW) und Hein Gas (Kosename für die Hamburger Gaswerke) nach, die vor rund zehn Jahren von Vattenfall bzw. E.on übernommen wurden? Ein nostalgischer Reflex, wie CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich meint?
Viele Hamburger wollen offenbar, dass die Stadt wieder stärkeren Einfluss auf die Energiepolitik bekommt. Eine Kommune kann eine dezentrale und klimaverträgliche Energiewende stärker voranbringen als ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Außerdem bleiben die Gewinne in der Stadt. HEW und Hein Gas haben in der Vergangenheit auch nicht alles richtig gemacht. Daher glaube ich nicht an einen nostalgischen Reflex, sondern daran, dass viele Bürger den Eindruck haben, dass die Energiewende mit Kohle- und Atomkonzernen wie Vattenfall nicht funktionieren wird. Diese Unternehmen klagen sogar an anderer Stelle gegen den Atomausstieg.

Was spricht für die Rekommunalisierung der Netze?
Die Verteilnetze sind ein zentraler Hebel für eine Energiewende, die mehr auf Dezentralität und erneuerbare Energien setzt. Ein kommunales Unternehmen ist dem Allgemeinwohl verpflichtet. Übersetzt für Hamburg heißt dies konkret: Das Stromnetz muss intelligenter, das Gasnetz zum Speicher für Windgas ausgebaut und das Fernwärmenetz für mehr Wettbewerb und erneuerbare Erzeugung geöffnet werden.

Was bringt das dem Bürger?
Niedrigere Preise kann derzeit niemand versprechen - egal mit welchem Modell. Ist der Netzbetrieb aber in kommunaler Hand, haben die Bürger wieder Einfluss auf die Energiepolitik. Mehr Klimaschutz, eine transparente Preisgestaltung und der Aufbau von kommunalen Werten sind die großen Pluspunkte einer Rekommunalisierung. Bundesweit haben seit 2007 mittlerweile 170 Kommunen so etwas durchgeführt.

Die in Hamburg regierende SPD sieht das etwas anders. Sie hält den 25,1-Prozent-Anteil der Stadt an den Netzen für ausreichend …
Mit einer Sperrminorität und einigen vertraglichen Zusatzregelungen hat die Stadt keinen wirklichen Durchgriff auf die Energiekonzerne. Außerdem legt sie sich mit einer solchen Beteiligung völlig unnötig auf Vattenfall und E.on fest. Die Gefahr, dass diese Partner bei städtischen Infrastrukturentscheidungen bevorzugt werden, ist nicht ausgeschlossen.

Wird der Senat den Wählerwillen torpedieren, wenn Ihre Initiative den Volksentscheid gewinnt?
Der Bürgermeister hat zugesichert, den Volksentscheid nicht ins Leere laufen zu lassen. Die Umsetzung wird zwar einige Jahre dauern, da die Fristen bei den Konzessionsverfahren zu beachten sind. Sollte der Senat allerdings wortbrüchig werden, wäre dies ein herber Rückschlag für die direkte Demokratie.

Wie teuer wäre der Rückkauf?
Der Rücknahmepreis steht noch nicht fest. Eine einfache Hochrechnung der bereits von der Stadt gezahlten 543 Millionen Euro ist nicht zielführend. Aber im Grunde hat der SPD-Senat ein mögliches Finanzierungsmodell bereits selber vorgezeichnet: Die Hamburger Vermögensverwaltung wird zu kommunalen Konditionen einen Kredit aufnehmen, der dann aus den Netzbetrieb und den vorgegebenen Renditen bedient werden kann. Man darf nicht vergessen, dass allein für Strom und Gas jährliche Einnahmen aus den Netznutzungsentgelten in Höhe von mehr als 400 Millionen Euro dem Kaufpreis gegenüberstehen.

Angenommen, der Rückkauf klappt: Wie hoch wären dann die Instandhaltungskosten für die Netze und könnte die Stadt als Eigner wirtschaftlich ähnlich erfolgreich agieren wie E.on und Vattenfall?
Die Stadt kann mit Sicherheit die Netze effizient bewirtschaften, ein Großteil des vorhandenen Personals wird ja übernommen. Derzeit kalkuliert Vattenfall ca. 160 Millionen Euro pro Jahr für Instandhaltung und Ausbau der Netze. In dieser Größenordnung müsste sich auch ein kommunaler Betreiber engagieren, allerdings mit anderen Schwerpunkten. Neuinvestitionen werden zudem von der Bundesnetzagentur mit höheren garantierten Renditen honoriert.

Der Rückkauf würde also über die Jahre durch die Einnahmen refinanziert werden?
Wenn der Rücknahmepreis korrekt ermittelt wird, kann das notwendige Eigenkapital von 40 Prozent selbst bei vollständiger Kreditfinanzierung refinanziert werden. Dies ist zwar ein langfristiges Geschäft, aber die Stadt würde wieder Tafelsilber aufbauen. Das hat ein Gutachten einer angesehenen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ergeben.

Befürchten Sie nicht jahrelange juristische Auseinandersetzungen mit Vattenfall und E.on?
Vattenfall hat für die 25,1-Prozent-Beteiligung einen einseitigen Verzicht der Stadt auf das Konzessionsrecht für die Fernwärme zur Bedingung gemacht. Obwohl vertraglich so geregelt, hat die Stadt ihr Recht aufgegeben, den Fernwärmenetzbetrieb jemals wieder zu übernehmen. Dieser unglaubliche Vorgang muss juristisch ausgefochten und zurückgedreht werden. Bei Gas und Strom rechnen wir mit keinen großen Verzögerungen.

Das Gespräch führte Volker Stahl.

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