»Bewegung braucht Reflexion«

25 Jahre Forschungsjournal Soziale Bewegungen: ein Gespräch mal nicht über die Beobachteten

  • Lesedauer: 5 Min.
Das Forschungsjournal Soziale Bewegungen feiert heute in Berlin seinen 25. Geburtstag. Das ist nicht selbstverständlich, erscheint es doch seit einem Vierteljahrhundert ehrenamtlich. Mit Ansgar Klein, einem der vier Herausgeber, hauptberuflich Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement, sprach Ines Wallrodt.

nd: Was war Ihre letzte Demo?
Klein: Gute Frage. Da kann ich mich kaum erinnern. In den 80er Jahren als Student war ich bei den Friedensdemonstrationen dabei und in der Jugendpresse aktiv. Ich bin eher der Publizist und Wissenschaftler, nicht der Praktiker.

Sie trennen also sauber und halten als Bewegungsforscher Distanz zu Ihrem Gegenstand?
Ich habe eine 70-Stunden-Woche bei der Netzwerkarbeit und als Publizist. Da bleibt wenig Zeit für Protest.

Wenn man Aktivist ist, würde man die Bewegung, die man untersucht, beeinflussen.
Der Bewegungsforschung wurde sehr früh der Vorwurf der Parteilichkeit für die von ihnen untersuchten Bewegungen gemacht. Dazu gab es gleich zu Anfang eine Grundsatzdebatte im Forschungsjournal. Das Problem aller Sozialwissenschaften ist es, dass ihre Forschungen, indem sie kommuniziert werden, Auswirkungen auf die Gesellschaft haben.

Wie hat das Journal diesen Grundkonflikt beantwortet?
Wir nehmen ernst, dass man sich auch als Bewegungsforscher wissenschaftlichen Standards unterziehen muss. Wir müssen nicht selber Aktivisten sein, um über Bewegungen gut berichten zu können. Wir müssen aber zu ihnen engen Kontakt halten.

Gelingt das?
Teils, teils. Gerade gab es die Beschwerde, die Praktiker seien zu wenig auf unserer 25-Jahr-Feier vertreten.

Zu bewegungsnah wirken Sie damit tatsächlich nicht: Sigmar Gabriel, Antje Vollmer, Heiner Geißler sind die Hauptredner.
Wir haben zahlreiche weitere Redner aus der Forschung und wir haben auch Bewegungspraktiker eingeladen. Wir versuchen aber auch, im Gespräch mit den Parteien die Aufmerksamkeit für Bewegungen als Form des Engagements im Wahlkampf zu verankern.

Politik und Medien wollen wissen, wer bei Stuttgart 21 protestiert oder wie Occupy zu bewerten ist. Wofür brauchen Aktivisten die Interpretation ihrer Proteste, zumal von Außenstehenden?
Bewegung braucht Reflexion. Hier kann die Forschung durch ihre Beobachtungen etwas beitragen.

Man sieht selten Aktivisten, die das Journal lesen.
Die Aktivistenszene in der Breite erreichen wir nicht, sondern eher »Bewegungsstrategen« sowie alle, die systematischer über Bewegungen nachdenken und sich eine Meinung bilden wollen - also wissenschaftliche Institute bis hin zu Ministerien, Medien wie »Der Spiegel« oder das Bundesverfassungsgericht.

Manche werfen der Bewegungsforschung vor, sie helfe dem Staat, Bewegungen kontrollierbarer zu machen und in gute und schlechte Protestformen zu teilen.
Ich glaube nicht, dass Bewegungen stärker sind, wenn sie selber nicht wissen, was sie tun. Eine naive Bewegung scheitert schneller. Sie kann Zufallserfolge haben, aber wenn sie sich verstetigen will, muss sie über ihre Handlungsbedingungen nachdenken. In dem Moment schaut sie auch auf unsere Zeitschrift.

Wenn man Ihre Hefte durchschaut, kommen einem viele Debatten von vor 20 Jahren durch aktuelle Diskussionen bekannt vor: Institutionalisierung, Verhältnis zu Parteien, Alternativökonomie. Bewegt sich also gar nicht so viel?
Heute heißt es statt Alternativ- solidarische Ökonomie. Sie haben recht, viele Diskussionen sind alt. Aber deswegen sind es nicht dieselben. Sie finden heute unter anderen Rahmenbedingungen statt: Globalisierung, Finanzkrise, die Weltmachtkonstellation. Es hilft, wenn man Wiederauflagen erkennt und Erfahrungen auf neue Entwicklungen anwenden kann.

Was waren für Ihr Journal wichtige Kontroversen?
Dieter Rucht hat soziale Bewegungen mal als »Produktivkräfte der Demokratie« bezeichnet. Dann kamen die Pogrome gegen Ausländer in den 90er Jahren in Deutschland. Und es wurde klar, wir müssen uns wieder mit rechten sozialen Bewegungen beschäftigen. Darüber haben wir in der Redaktion heftig diskutiert. Einige wollten den Begriff der sozialen Bewegung reservieren für die linkslibertären Bewegungen.

Wie ist der Streit ausgegangen?
Wir dürfen den Begriff der Bewegung inhaltlich nicht so aufladen, dass er nicht mehr anwendbar ist auf Dinge, die uns nicht gefallen. Es gibt also nicht nur die demokratischen, sondern auch die rechten, die fundamentalistischen, die religiösen Bewegungen. Wir machen aber nicht nur Bewegungsforschung, sondern eher Zivilgesellschaftsforschung.

Wo ist der Unterschied?
Zivilgesellschaft ist die Sphäre neben Staat und Wirtschaft - organisierte Vereine, Verbände, Stiftungen, Bürgerinitiativen. Bewegungen dagegen sind keine Organisation, aber sie haben welche. Und eine soziale Bewegung braucht Bündnispartner in der organisierten Zivilgesellschaft.

Wann spricht man von Bewegung? Wenn Bürgerinitiativen gegen Windräder protestieren?
Protest ist, wenn sich Leute zusammentun, um gegen irgendetwas ihre Stimme zu erheben. Das ist nicht automatisch schon eine Bewegung. Ob sie dazu werden, hängt davon ab, ob eine gewisse Kontinuität und ein bestimmter Zusammenhang eintreten.

Je mehr feste Strukturen, desto weniger ist es aber Bewegung?
Lange galt Institutionalisierung als Ende von Bewegungen. Roland Roth hat diese Ansicht differenziert und spricht von einem institutionalisierten Bewegungssektor. So haben etwa die Umweltverbände relativ früh gemerkt, dass es mit der Umweltbewegung plötzlich viel Mobilisierung in ihrem Feld gibt. NABU und BUND entwickelten sich dann zu Bewegungsorganisationen. Das bedeutet, sie haben ganz systematisch Kontakt zu Aktivisten gesucht.

Das Verhältnis zwischen professionell arbeitenden NGOs und ehrenamtlichen Strukturen ist oft angespannt.
Ich weiß. Aber beide Seiten brauchen sich gegenseitig. Auf der internationalen Bühne kann man das Zusammenspiel gut beobachten. NGOs sitzen am Verhandlungstisch und draußen gibt es den Vor-Ort-Protest. Schafft man es nicht, dass Forderungen »von der Straße« in politischen Arenen auch nur ansatzweise übernommen werden, bleibt Protest wirkungslos. Verhandle ich aber ohne Protestkulisse, setze ich am Tisch nichts durch.

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