nd-aktuell.de / 13.03.2013 / Kultur / Seite 38

Die Freiheit, der Überdruss

lldikó Noémi Nagy: Lyrische Prosa der Sehnsucht

Irmtraud Gutschke

Geboren 1975 in Vancouver, Kanada, aufgewachsen in New York und Connecticut - und ist in das Land zurückgegangen, das ihre Eltern einst verlassen hatten. Als »Bumerang« bezeichnet Ildikó Noémi Nagy in ihrem gleichnamigen Band Kinder, die wieder zu ihren Eltern ziehen. In ihrem Leben hat sie indes eine viel größere »Kurve« gewagt. Es scheint, als ob der amerikanische Kontinent für sie nur ein Umweg war. Sie lebt jetzt in Budapest und schreibt Ungarisch. »So amerikanisch war die ungarische Literatur noch nie, und die amerikanische noch nie so ungarisch«, wirbt der Verlag. Klingt gut, aber es dürfte nicht einfach sein, so zwischen verschiedenen Kontinenten zu leben.

Freilich, in dieser Prosa wird man sehen, wie vieles sich inzwischen vermischt. Heranwachsende hier wie dort wollen »cool« sein und sind dabei ziemlich unsicher. Sie sorgen sich um ihre Haare, ihre Schuhe und fragen sich, was im Leben für sie wichtig sein könnte. Den geordneten Alltag bei den Eltern finden sie öde. Aber Partylaune hält auch nicht lange an.

»Ich verspüre eine unendliche Langeweile, die mir die Sprache verschlägt«, lässt Ildikó Noémi Nagy ihre Ich-Erzählerin an einer Stelle klagen. Handelt diese Story, »Dea darf alles«, nun in Ungarn oder doch in einem anderen Land der Welt? Von überallher wäre es möglich, mit der Mutter per Skype zu sprechen und als kuriose Neuigkeit zu erfahren, dass eine kalifornische Bank ihrem Hund Vazul eine Kreditkarte ausgestellt hat. Nun fragen sie nach der social security-Nummer ...

Keine »großen Geschichten«, sondern kurze Beobachtungen aus einem jungen Leben. Die Oma und die Mutti hatten 1957 in Ontario Englisch gelernt. Warum sie aus Ungarn geflohen sind, man kann es sich denken, aber man weiß es nicht. Ihre Erleichterung, in der »freien Welt« angekommen zu sein, ist für die Tochter Vorgeschichte. »Zwei Kanapees im Wohnzimmer, weiß bezogen ... Ein taubengrauer Teppich, darauf zusätzlich ein Perser...« (»Dämmerung, Erwachen«) Alles bestens eingerichtet, doch die - der Autorin sehr nahen - Ich-Erzählerinnen können sich nicht darüber freuen.

Freiheit: selbstverständlich für sie. Ildikó Noémi Nagy ist es wohl klar, dass es nichts Weltbewegendes ist, wenn sie von Langeweile, Einsamkeit, Überdruss erzählt. Aber sie tut das mit einer Beobachtungs- und Sprachgenauigkeit, dass man dennoch staunt. Diese Autorin macht uns nichts vor, sie beschreibt, was sie sieht und was sie spürt. Wie fühlt man sich so ohne festen Boden unter den Füßen?

Was heute beinahe ein Normalzustand für junge Leute ist, man kann es schönreden, aber behaglich ist es nicht. Unsicherheit mag in diesem Band das wichtigste Thema für Ildikó Noémi Nagy gewesen sein, aber wie sie damit umgeht, strahlt sie eine große Souveränität aus. Kraft, sich aus dieser Lage befreien zu wollen. Lyrische Prosa der Sehnsucht.

Eine vielversprechende und vielseitige Künstlerin ist diese Frau. Sie hat in Budapest ein Studium an der Musikakademie abgeschlossen und hinterher einen Master-Abschluss in amerikanischer Literatur erworben, ist inzwischen auch als Übersetzerin tätig. Vorliegender Band ist im Original 2010 erschienen. Jetzt arbeitet Ildikó Noémi Nagy an einem Roman.

Ildikó Noémi Nagy: Oh Bumerang. Stories. A. d. Ung. v. György Buda. Jung und Jung. 125 S., geb.,17,90 €.