nd-aktuell.de / 13.03.2013 / Kultur / Seite 42

Brutal und gnadenlos

Hugo Geissler - Jäger und Henker deutscher und französischer Antifaschisten

Nora Goldmann

Dies ist eine bemerkenswerte und wichtige Arbeit. Ein deutscher und ein französischer Historiker fanden zusammen auf den Spuren eines NS-Täters. Siegfried Grundmann ist Experte für deutsche Geheimdienste und politische Polizei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Eugène Martres forscht seit fünf Dezennien zur deutsch-faschistischen Okkupation seiner Heimat.

Bemerkenswert ist die Faktenfülle, die das deutsch-französische Team bietet. Wichtig ist ihre Arbeit, weil sie - gerade in Zeiten, da wie jüngst zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages die deutsch-französische Freundschaft gepriesen wird - an die Schrecken der Vergangenheit erinnert, den Terror der NS-Besatzungsmacht wie auch an willfährige französische Helfer. Aber auch an heroischen Widerstand.

Es ist schier unglaublich, wie viele Verbrechen auf das Konto eines Mannes gehen. Man glaubt kaum, dass dafür ein Leben ausreicht. Hugo Geissler, 1908 als Sohn eines Lokomotivführers und einer Schneiderin in Straßburg geboren, begann seine Polizeikarriere 1933 in der SA. Zwei Jahre darauf trat er in die SS ein, wurde Kriminalkommissar in Dresden, war kurzzeitig bei der Gestapo in Prag und ab Sommer 1940 im besiegten Frankreich. Dort zunächst Chef der »Deutschen Polizeidelegation«, avancierte er nach der Besetzung Südfrankreichs durch die Wehrmacht zum Kommandeur der Sicherheitspolizei in Vichy. Er war ein gnadenloser Jäger - sei es bei der Zerschlagung des Sozialistischen Jugendverbandes und der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), der »Roten Wehr«, Nachfolgeorganisation des kommunistischen Rot Frontkämpfer-Bundes (RFB), des Kommunistischen Jugendverbandes und der KPD im »Reich« wie auch bei der Verfolgung von Juden, deutschen Emigranten und Résistancekämpfern in Frankreich. Die Autoren schildern Schicksale von Opfern Geisslers, dessen raffinierte und brutale Verhörmethoden mitunter dazu führten, dass jene nach dem Krieg ein zweites Mal Opfer wurden - von ihren Genossen des Verrats und der Kollaboration bezichtigt, wie der Sozialist Horst Patzig oder die Jungkommunistin Helene Fischer. In der Tat gelang es Geissler fatalerweise, V-Leute in Widerstandsgruppen einzuschleusen. Doch nur mit seinen Fähigkeiten ließen sich die Einbrüche an der illegalen Front nicht erklären, so die Autoren. »Eine mindestens ebensolche Rolle haben Irrtümer, Fehler und Illusionen seiner Opfer gespielt.«

Geissler erzwang beim Pétain-Regime die Auslieferung der Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid (1944 im KZ Buchenwald umgekommen) und Rudolf Hilferding (gestorben 1941 nach schwerer Folter in Pariser Gestapo-Haft) wie auch die Säuberung von missliebigen, als illoyal verdächtigten Ministern und Militärs in Vichy . Zu seinen »Erfolgen« in Frankreich gehörten die Aushebung mehrerer Waffenlager des Widerstandes. Gefangen genommene Kämpfer des Maquis, des bewaffneten Arms der Résistance, wurden grausam misshandelt, bevor man sie erschoss.

Den Mörder ereilte die gerechte Strafe am 12. Juni 1944 in Murat. Kaum hatte er das Rathaus verlassen, eröffneten Partisanen das Feuer auf ihn. Indes, die Rache der Besatzer folgte: mit Geiselnahmen und Deportation in die KZ.

Siegfried Grundmann/Eugène Martres: Hugo Geissler - vom Dresdner SA-Mann zum Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Vichy. Nora. 478 S., br., 29,90 €.