Der Verbotseffekt

Vor zehn Jahren wurde die NPD durch das Verfahren aufgewertet - auch diesmal hofft die siechende Partei darauf

  • Olaf Sundermeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Am 18. März 2003 stellte das Bundesverfassungsgericht das erste Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD ein. In der Folge gab es wiederholt Anläufe für einen zweiten Versuch. Aber erst nach dem Bekanntwerden der Morde durch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) 2012 wurden die Innenminister der Länder tatsächlich aktiv, ein neues NPD-Verbotsverfahren in Gang zu setzen. Ihr Antrag steht kurz bevor. Ob sich Bundesregierung und Bundestag anschließen, entscheidet sich in den kommenden Tagen.

Vor genau zehn Jahren begann der Aufstieg der rechtsextremen NPD zu einer realen landespolitischen Kraft in zwei Bundesländern, in denen sie bis heute die parlamentarische Wirklichkeit mitbestimmt. Denn erst nachdem im März 2003 das gemeinsame Verbotsverfahren von Bundestag, Regierung und Bundesrat vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert war, stieg die Mitgliederzahl der NPD rapide an - auf über 10 000.

Die bis dahin unbedeutende Partei begann damals eine Kampagne, die sie bei den sächsischen Landtagswahlen im Folgejahr bis in den Landtag am Elbufer trug. Wenn auch verstärkt durch die damalige Proteststimmung gegen die Hartz-IV-Regelungen. Und nur mit den Erfahrungen aus dem sächsischen Landtagswahlen, mit dem dort anschließend eingesammelten staatlichen Geld und unter tatkräftiger Mithilfe des ersten NPD-Fraktionsvorsitzenden in einem ostdeutschen Landtag, Holger Apfel, gelangte die NPD 2006 auch in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Angetrieben durch den Rückenwind eines gescheiterten Verbotsverfahrens.

Nun wollen die Bundesländer in einem zweiten Anlauf die Verfassungswidrigkeit der Partei feststellen lassen. Bis Sommer soll ihre Klage in Karlsruhe eingehen. Ob sich der Bund anschließen wird, ist offen. Seit Monaten wird über das Für und Wider in der Bundesrepublik heftig diskutiert. Und die rechtsextremen Parteistrategen versuchen erneut, von der Debatte um ihr Verbot zu profitieren.

Aus diesem Grund veröffentlichte die NPD zuletzt selbst das vertrauliche Dossier, das die Landesinnenminister in der Beweisführung für ein NPD-Verbot zusammenstellen ließen. Überdies stellte die Partei selbst beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag, ihre Verfassungstreue zu überprüfen. Nachdem dieser abgelehnt wurde, zieht die NPD weiter - vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um gegen ein zukünftiges Verbotsverfahren vorzugehen. Dabei zog die angeschlagene NPD reichlich Aufmerksamkeit auf sich und lenkte von der öffentlich diskutierten Rolle ab, die einzelne Parteifunktionäre im Umfeld des rechtsterroristischen NSU gespielt haben.

Vor zehn Jahren hatte Karlsruhe das Verbotsbegehren abgelehnt, weil die Informanten der Innenbehörden, überzeugte Rechtsextremisten, die als so genannte V-Leute aktiv waren, auch aus der Führungsebene der NPD kamen. Damit waren die Informationen, die gegen die Partei vorlagen, mit einem Zweifel behaftet. Umgehend nahm die NPD eine Märtyrerrolle an, die ihr aus Sicht der gesamten rechtsextremen Bewegung nunmehr zukam und mit der sich auch viele Menschen identifizierten, die sich zu den von der herrschenden Politik Ausgegrenzten zählten. Bis heute liegen die Hochburgen der NPD in den strukturschwachen Gegenden am östlichen Rand der Republik. Neben der juristischen Frage, wie aussichtsreich heute das erneut angestrebte Verbotsverfahren ist, stellt sich deshalb nach wie vor die Frage nach dessen politischer Sinnhaftigkeit. Aber die technisch-juristische Machbarkeitsdebatte überlagert diesen Aspekt.

An der eigentlichen Entscheidungsgrundlage hat sich nichts geändert: Die Befürworter eines Verbots folgen der Argumentation, die etwa der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, stark macht, der darin ein Signal sehen würde, »dass nicht weiterhin Steuergelder für die Finanzierung von braunem Gift« ausgegeben wird. Die meisten Rechtsextremismusforscher fürchten hingegen die Wiederbelebung einer dahinsiechenden Partei. »Das ist eine unnötige Aufwertung einer im Westen gescheiterten Partei. Ein tatsächliches Verbot hätte zusätzlich eine Stärkung der gefährlichen rechtsextremen Strukturen zur Folge«, argumentiert etwa Dierk Borstel, Professor an der Fachhochschule Dortmund, der seit vielen Jahren die Entwicklung in Deutschland verfolgt.

Denn heute ist die NPD eine Partei mit lediglich regionaler Relevanz: Ihre Mitgliederzahl hat sich längst halbiert, ist unter die Zahl 5000 gefallen. Den Abschwung gibt sogar der NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel auf Nachfrage zu. Und auch die Hoffnung hat sich zerschlagen, dass »alle mitteldeutschen Parlamente heute NPD-reif« sind, wie es der frühere NPD-Chef Udo Voigt mit Blick auf die ostdeutschen Landtage in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen noch vor fünf Jahren ausdrückte. Seither hangelt sich seine Partei an einer Kette von Wahlniederlagen entlang: In den beiden bevölkerungsreichen westdeutschen Flächenstaaten Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen erreichte die NPD bei zurückliegenden Landtagswahlen nicht mal mehr die für die Parteienfinanzierung wichtige Hürde von einem Prozent. Im kommenden Jahr aber geht es bei der Landtagswahl in Sachsen um den Wiedereinzug. Die sächsische Fraktion ist überlebenswichtig für die gesamte Partei. Aber beim Überleben kann ihr eigentlich nur noch das Verbotsverfahren helfen. Genau wie vor zehn Jahren.

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