Sowjetmusik störte SS-Gedenkmarsch

Widerstand in Riga gegen Zusammenrottung der Veteranen ehemaliger Kampfverbände

  • Frank Brendle, Riga
  • Lesedauer: 2 Min.
Rund 1500 Menschen haben in der lettischen Hauptstadt Riga an einem Gedenkmarsch zu Ehren lettischer Waffen-SS-Verbände teilgenommen.

Aufgerufen zu dem Marsch am Sonnabend hatten neben dem Veteranenverband ein nationalistischer Jugendverband sowie die rechtsextreme Partei »Alles für Lettland«, die Teil der Regierungskoalition ist. Die SS-Anhänger versammelten sich am Freiheitsdenkmal im Stadtzentrum.

Widerstand gegen die Glorifizierung der SS gibt es in Lettland kaum. Die Teilnehmer einer kleinen antifaschistischen Gegenkundgebung wurden als »Moskauhörige« oder »Anhänger Stalins« beschimpft. Der Gruppe gelang trotzdem eine spektakuläre Protestaktion: Als sich die SS-Veteranen an der Spitze der rechten Demonstration dem Denkmal näherten, schallte ihnen aus mobilen Lautsprechern sowjetische Kampfmusik aus dem Zweiten Weltkrieg entgegen. Anschließend wurden Verbrechen von SS-Truppen aufgezählt. Rechtsextreme versuchten immer wieder, die Antifaschisten anzugreifen. Nach einer Viertelstunde gelang es ihnen, die Lautsprecheranlage zu kappen. Die Polizei führte die Rechten ab, einen von ihnen musste sie aber gleich wieder laufen lassen: Es handelte sich um einen Parlamentsabgeordneten von »Alles für Lettland«, der Immunität genießt.

Eine halbe Stunde vor dem Eintreffen des SS-Marsches hatte eine Abordnung der Bewegung »Welt ohne Nazismus« einen Kranz niedergelegt, um die Opfer von NS-Verbrechen zu ehren. Im Vorjahr hatten junge Rechtsextreme mit Duldung und Unterstützung der Polizei einen ähnlichen Kranz zerstört und hinter dem Wappen der »Lettischen Legion« versteckt.

Das sollte sich diesmal nicht wiederholen, hatte die Polizei versprochen. Tatsächlich wurde der Antifa-Kranz nicht zerstört, sondern von einem Vorauskommando nationalistischer Frauen derart mit Blumen überschüttet, dass er unsichtbar wurde.

Joel Rubinfeld, Vorsitzender des Europäischen Jüdischen Parlaments, forderte von der Polizei ein Einschreiten. Das erfolgte denn auch - in Form eines Platzverweises für Rubinfeld. »Kollaboriert ihr schon wieder mit ihnen?« rief dieser den Ordnungskräften zu, als sie ihn am Arm packten und abführten. Der Platz war damit für die Nazis frei gemacht.

In Lettland ist die Vorstellung weit verbreitet, bei den einheimischen SS-Angehörigen habe es sich um »Freiheitskämpfer« gehandelt, die, obwohl im Bündnis mit Nazideutschland, für die Unabhängigkeit gekämpft hätten. Nach Angaben der lettischen EU-Abgeordneten Tatjana Zhdanoka, die an der Protestaktion teilgenommen hatte, wird diese Sicht auch in Schulbüchern vermittelt. »Sie erzählen eine einseitige Geschichte, sie sagen nichts über den Holocaust, nichts über die Verbrechen«, so Zhdanoka gegenüber »neues deutschland«.

Nikolaj Kabanov, der das russophile »Harmonie-Zentrum« im lettischen Parlament vertritt, sprach sich im »nd«-Gespräch für eine Internationalisierung des Themas aus: Regierungen und Parlamentarier der EU-Staaten müssten der lettischen Regierung klarmachen, »dass solche Neandertaler-Ansichten keinen Platz in der EU haben«.

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