nd-aktuell.de / 03.04.2013 / Politik / Seite 3

Museumsadresse: Stefan-Heym-Platz

Seine Geburtsstadt Chemnitz ehrt den Schriftsteller zum 100. Geburtstag mit großem Programm

Hendrik Lasch, Chemnitz
Am 10. April wäre Stefan Heym 100 geworden. In Chemnitz findet deshalb eine große Konferenz statt - und ein Platz wird nach dem Schriftsteller benannt.

Als der Gymnasiast Helmut Flieg sein Gedicht »Exportgeschäft« in die Redaktion der Chemnitzer »Volksstimme« trug, lief er vermutlich am Kaufhaus »Schocken« vorbei. Belegt ist das nicht, aber es ist der kürzeste Weg, und der 18-Jährige erledigte den Gang, wie er später schrieb, in einer Schulpause. Das Gedicht, das am 7. September 1931 erschien und mit den bissigen Zeilen »Wir exportieren, wir exportieren, wir machen Export in Offizieren« beginnt, sorgte für einen handfesten Skandal. Die NSDAP hetzte gegen den Autor; dieser flog von der Schule. Wenig später verließ er die Stadt, dann das Land. Bei der Rückkehr war er US-Soldat, hatte seinen ersten Roman veröffentlicht - und hieß Stefan Heym.

Auf den Namen des Schriftstellers von Weltruhm wird in wenigen Tagen eben jener Platz vor dem ehemaligen Kaufhaus »Schocken« getauft. Anlass ist Heyms 100. Geburtstag am 10. April. Kurzzeitig waren für den Platz auch andere Namen im Gespräch, der von Erich Mendelsohn zum Beispiel. Der Architekt hatte das 1930 eröffnete, markant halbrunde Gebäude entworfen. Am Ende jedoch votierte eine breite Ratsmehrheit für Heym. Wenn das Warenhaus demnächst nach langem Umbau als sächsisches »Haus der Archäologie« wiedereröffnet wird, lautet seine Postanschrift: Chemnitz, Stefan-Heym-Platz.

Die Platztaufe ist Höhepunkt eines ambitionierten Programms, mit dem Chemnitz an seinen berühmten Sohn erinnert. Am gleichen Tag wird ein nach diesem benannter Literaturpreis verliehen, der zu den höchstdotierten seiner Art in Deutschland gehört und den nach Amos Oz und Bora Cosic nun Christoph Hein erhält. Tags darauf beginnt eine zweitägige Konferenz, die sich unter dem Titel »Der Jahrhundertzeuge« damit befasst, wie Geschichtsschreibung und Geschichtsentwürfe das Werk von Heym prägten. Die Referenten kommen aus Freiburg und Wien, Trondheim und Marburg. Gäste erwartet man sogar aus den USA: »Das ist weitläufige Verwandtschaft Heyms«, sagt Ulrike Uhlig, Vorstandschefin der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft.

Die Gesellschaft wurde 2009 gegründet und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Heym in seiner Geburtsstadt zum 100. so umfangreich gewürdigt wird. Eine Handvoll Enthusiasten rund um Uhlig, frühere Kulturchefin der Volkshochschule, putzten Klinken bei Politikern und potenziellen Sponsoren und knüpften Kontakt zu Wissenschaftlern wie zu Schulen. Ergebnis ist ein vielfältiges Repertoire an Veranstaltungen. Ende Februar gab es bereits einen Heym-Lesemarathon; jetzt werden Filme gezeigt, Theaterinszenierungen auf die Bühne gebracht und Preisträger eines Literaturwettbewerbs für Schüler geehrt. Jugendliche für Heym zu interessieren, sei ihr besonderer Anspruch, sagt Uhlig - und wohl erfolgreicher als gedacht: »Sie bewundern seine Zivilcourage und den Umstand, dass er auch in schwierigen Zeiten zu seinen Prinzipien gestanden hat.«

Derlei Anerkennung wird Heym in Chemnitz noch nicht immer zuteil. Als im Jahr 2003 über einen neuen Namen für das Gymnasium gestritten wurde, das auch der spätere Schriftsteller besucht hatte, fiel die Wahl am Ende doch auf Karl Schmitt-Rottluff. Zur Begründung hieß es, der Maler genieße Weltruhm: »Man braucht sich seines Namens nicht zu schämen.« Indirekt war das eine Ohrfeige für Heym. Die Stadt sei damals wohl »noch nicht reif« dafür gewesen, sich stärker zu ihm zu bekennen, sagt Uhlig. Die Ehrenbürgerwürde war Heym allerdings noch kurz vor seinem Tod 2001 verliehen worden. Seit 2007 hängt an einem Haus, das am Ort von Heyms 1945 zerstörtem Geburtshaus steht, eine Tafel, die an den Schriftsteller erinnert.

Inzwischen ist man in Chemnitz mehrheitlich der Ansicht, dass man sich auch Heyms nicht zu schämen braucht - die Festwochen sind beredter Ausdruck dafür. Und auch in anderen Orten, die mit Heyms Schaffen verbunden sind, scheinen alte Grabenkämpfe langsam überwunden - in Schwarzenberg etwa. Die ausgebliebene Besetzung der Erzgebirgsstadt durch die Alliierten im Frühsommer 1945 nahm Heym zum Anlass, um in einem Roman die Utopie einer »freien Republik« zu entwerfen. Lange wurde in Schwarzenberg erbittert gestritten, ob die unbesetzte Zeit schon der »Anfang der Diktatur« war. Zum 100. Geburtstag nun lädt die Heym-Gesellschaft zur Exkursion nach Schwarzenberg - inklusive Empfang bei der CDU-Rathauschefin.