Bericht aus der Anstalt

In den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin: »Sklaven« von Georges Courteline

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Wir blicken auf einen Laufsteg der Eitelkeiten. Der moderne Narziss spielt sich in den Vordergrund - in seinem Rücken aber häuft sich der Abfall dieses Egoismus. Schöne zweigeteilte Welt! Auf der Bühne, die Regisseur Andreas Kriegenburg an den Kammerspielen des DT selbst mit entwarf, wird dies von einer Schwingtür bedeutet, kurze Blicke auf Hintergründe: Mülltütenberge, die in den Himmel stürmen. Ah ja, blendende Fassaden, Dreck dahinter.

Narziss ist vielleicht ein Wort von vorgestern. Wie Dandy oder Flaneur. All diese liebenswert schrägen Vögel sind längst aufgesogen von der Ideologie der Selbstverwirklichung. Und wo Ideologie beginnt, hört bekanntlich der Spaß auf. Das ist kurz gesagt der Inhalt von »Sklaven«, die sämtlich ihren inneren Spartakus suchen, der sie zum Aufstand führt. Das bizarre Personal hier scheint nicht wie Narziss von übermächtiger Liebe zu sich selbst beflügelt, sondern von Selbsthass gefesselt.

So zeigen es die fünf Szenen aus dem Einakter »Sklaven« des wenig bekannten französischen Autors Georges Courteline (1858-1929). Untertitel: »Aus der Hölle der bürgerlichen Freiheit«. Eine Perlenkette, nachdem sie gerissen ist. All die kleinen Kugeln springen und rollen davon. Auch das ist Freiheit: sich davonmachen, weg sein, wo man bis eben noch dauerhaft gebunden schien.

Also wohnen wir ihm bei, dem gut zweistündigen Bericht aus der Anstalt der Freiheitsgeschädigten, der von der Leine gelassenen Bestie Mensch. Ein überaus schräger Abend, der jedoch gleichsam mit Ansage daherkommt. Das Programmheft versammelt dann auch hochphilosophische Gedanken zum Thema »Die Konformisten des Andersseins«. Darin ist die Rede von der »Herde der Individualisten«, der »Banalität des Guten«, und dass wir alle »Schauspieler des Nonkonformismus auf der Bühne des Konformismus« sind. Das ist zweifellos alles richtig. Nur von einem entbindet dies nicht: dem eigenen künstlerischen Tun Sinn und Form zu geben.

Womit wir bei dieser »Sklaven«-Inszenierung sind. Erster Befund: Nichts ist so schwierig, eher noch unmöglich, als ständig originell sein zu wollen, wie schon die französische Salon-Kultur beweist, deren letzte bösartige Zuckungen in »Sklaven« zu besichtigen sind. Noch schwieriger, aus einer schlechten Stückvorlage gutes Theater zu machen, besonders dann, wenn es sich um eine Komödie handelt, die aus lauter flauen, faulen Pointen besteht. Dass sie nicht zünden werden, darf man bereits im Vorhinein vermuten.

Nun gibt es Regisseure, die genau daraus großartiges absurdes Theater machen wie derzeit Herbert Fritsch an der Volksbühne. Dimiter Gotscheff hat eben dort vor Jahren Alfred Jarrys »König Ubu« auf die Bühne gebracht - den Vorhang beiseiteziehend, die Selbstverhinderungsrituale derer entblößend, die unbedingt etwas bedeuten wollen. Das ist dann unbedingt lustig, wenn auch gegen den Text, gegen die Figuren selbst gewandt. Und kein Fluchtweg in die rettende Ironie. Das wird dann zum todernsten Blick in den Spiegel: Wir sehen einen lächerlichen Menschen. Ich?! Darüber können wir aus blankem Entsetzen gar nicht lachen, aber dafür die anderen um so mehr.

So hat sich das Andreas Kriegenburg mit »Sklaven« auch gedacht. Aber Theater, besonders das schwer greifbare Spiel mit dem Absurden, ist eben etwas anderes als bloße Theorie. Und wenn dann Hans Löw, Olivia Gräser, Elias Arens, Natali Seelig, Natalia Belitski, Jörg Pose und Daniel Hoevels sich bemühen, aus diesen Miniaturszenen (Sketche von gestern!) den selbstzerstörerischen Kampf aller gegen alle, besonders aber der Frauen gegen die Männer und umgekehrt zu zeigen, so bleibt davon allenfalls das Bemühen.

Und das ist in solcher Szenerie oft gleichbedeutend mit purer Peinlichkeit. Woran liegt es? Wo doch die Kostüme von Andrea Schraad so hinreißend antiquiert futuristisch sind. Lauter Südstaatenzombies, die zu lange durch die Sonne oder die Pariser Boutiquen ritten. Die Maschinenpistole ist immer dabei, wir sind hier schließlich in einer Art Comic à la Tim Burton. Lauter Blumen des Bösen im multimedialen Zeitalter. Oder wie Norbert Bolz bemerkt: »In einer Gesellschaft, die sich an ihrer Selbstkritik ergötzt, ist es schwer, den magischen Ort des Außenseiters zu bestimmen.«

Alles sehr richtig und wichtig - nur ist davon nichts zu sehen. Das Schlimmste passiert, was einer solchen Gratwanderung des Absurden zwischen Witz und Abgrund passieren kann: Obwohl die Schauspieler auf höchstem Energielevel und sämtlich sehr präzise agieren, hat man nie den Eindruck, hier könnte irgend jemand abstürzen. Man steht jederzeit fest auf dem Boden des Staatstheaters.

Vor allem aber: Es ist nicht lustig, jedenfalls zu selten, etwa dann, wenn das »Ministerium zur ästhetischen Verteidigung« allergisch aufs Treiben des »Ministeriums zur Verteidigung des Ästhetischen« reagiert, oder umgekehrt, aber man kann den »anti-trivialen Schutzwall« eben nicht überwinden. Jedenfalls nicht ungestraft, wie schon Oscar Wilde wusste.

Jeder Mensch ein Kunstwerk? Das wäre das Ende der Kunst. Aber ist darum der Satz falsch, dass jeder Mensch nur sein Stil ist? Kriegenburg, der dem überaus toten Ästhetizismus unserer Konsumkultur mit Courtelines Text Leben einzuhauchen versucht, bestätigt ihn nur - durch Abwesenheit von echtem Spielwitz.

Nächste Vorstellung: 18. April

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal