nd-aktuell.de / 09.04.2013 / Kultur / Seite 16

Vorstellungskraft der Demoskopen

Jürgen Amendt

Eine kleine Frage vorab: Könnten Sie sich vorstellen, eine Horst-Schlämmer-Partei zu wählen? Nein, können Sie nicht, werden Sie jetzt vielleicht sagen, weil es diese Partei gar nicht gibt, respektive Horst Schlämmer eine Kunstfigur Hape Kerkelings ist. Dann gehören Sie immerhin zu den 82 Prozent der Wahlbevölkerung, die bei einer Umfrage für die Zeitschrift »Stern« vor der Bundestagswahl 2009 sich für die ominöse Horst-Schlämmer-Partei ebenfalls nicht begeistern konnten. Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling fand ein Jahr später in Thilo Sarrazin einen Nachfolger. Eine Partei, die von dem ehemaligen Politiker und Bankmanager und jetzigen Hobby-Genetiker geführt wird, könnte, so hatten Meinungsforscher 2010 im Auftrag der »Bild« ermittelt, auf 18 Prozent Wählerstimmen hoffen.

Die »Alternative für Deutschland« (AfD) existiert allerdings real und das euroskeptische Sammelbecken versprengter Konservativer könnte auf bis zu 24 Prozent der Wählerstimmen hoffen, wie gestern von den meisten Medien berichtetet wurde. Der Tenor war der Gleiche wie bei all den anderen Beispielen in den vergangenen Jahren: Die im Februar gegründete AfD habe ein »erhebliches Wählerpotenzial«.

Die Prozentzahlen schwanken, die Aussage derart skandalisierter Meldungen ist aber immer die gleiche: Den etablierten Parteien laufen bald die Wähler weg. Man könnte jetzt einwenden, dass im Gegensatz zur AfD weder die Horst-Schlämmer-Partei noch eine Thilo-Sarrazin-Partei real waren, allerdings haben Meinungsforscher im Auftrag diverser Medien ähnliche Aussagen auch schon bezüglich real existierender Parteien getroffen. Im März 2008 hieß es beispielsweise, dass sich 27 Prozent der Wähler vorstellen könnten, die Linkspartei zu wählen, das tatsächliche Wahlergebnis fiel im Herbst 2009 bekanntlich mit 11,7 Prozent deutlich niedriger aus. Das Problem bei derartigen Umfragen ist die Formulierung der Frage. Vorstellen können sich die meisten Menschen vieles, wie sie sich letztlich verhalten werden, lässt sich aus den Antworten auf solche Suggestionsfragen nur spekulativ ableiten.

Das Medienblog »bildblog« hat das Phänomen 2010 mit einer schönen Schlagzeile beschrieben: »Katzen würden Whiskas kaufen?«

Vielleicht sollte das »nd« einmal eine Umfrage in Auftrag geben. Wir könnten unsere Leser dann folgende Frage stellen: »Können Sie sich vorstellen, die FAZ zu lesen?« und aus den Antworten anschließend die Schlussfolgerung ziehen, dass es bei den »nd«-Abonnenten ein »erhebliches FAZ-Leserpotenzial« gebe.