Flexibel in den Ruhestand

IG Metall und IG BAU fordern ein Umdenken in der Rentenpolitik

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.
Zwei große DGB-Gewerkschaften wollen den Bundestagswahlkampf nutzen, um der Bevölkerung die drohenden Einschränkungen der Altersbezüge bewusst zu machen und auf die Entwicklung altersgerechter Beschäftigungsformen zu drängen.

IG-Metall-Vorstand und Sozialexperte Hans-Jürgen Urban bezeichnet es als »Mythos«, dass sich die Beschäftigungssituation über 60-jähriger Arbeitnehmer deutlich verbessert habe. Eine Betriebsrätebefragung hat ergeben, dass es in 82 Prozent der Betriebe »nahezu nie« oder »selten« altersgerechte Arbeitsbedingungen gibt. Branchenübergreifend liege die Quote der über 64-jährigen Vollzeitbeschäftigten bei unter zehn Prozent. Die stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bedeutet daher für viele Arbeitnehmer eine Rentenkürzung.

Um älteren Beschäftigten ihre Arbeit bis zum Renteneintritt zu ermöglichen, fordert die IG Metall Weiterbildungsangebote für Ältere, kürzere Schichtzeiten und weniger Nachtarbeit sowie ein reduziertes Arbeitstempo in der Produktion. Darüber hinaus geht es der Gewerkschaft um flexiblere Modelle für den Renteneintritt. Für jeden müsse es eine geeignete Option geben, so Urban. Zu den von der IG Metall geforderten Instrumenten gehören eine existenzsichernde Erwerbsminderungsrente, staatlich geförderte Altersteilzeit sowie eine abschlagsfreie Rente mit 60 nach 40 Versicherungsjahren. Zur Vermeidung von Altersarmut soll die Rente langjährig Versicherter mit niedrigen Erwerbseinkünften durch Höherbewertung der Anwartschaften (Mindestentgeltpunkte) aufgebessert werden. Das soll auch für die Anrechnung von Zeiten der Erwerbslosigkeit gelten.

Urban verweist auf die hohe Akzeptanz derartiger Forderungen in der Bevölkerung. Laut einer von der IG Metall in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage von TNS Infratest befürworten 60 Prozent eine paritätisch von Unternehmen und Beschäftigten finanzierte Erhöhung der Rentenbeiträge zur Sicherung von existenzsichernden Alterseinkünften. 78 Prozent sprechen sich dafür aus, alle Berufsgruppen, also auch Selbstständige, Freiberufler und Beamte, in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen.

Auch die IG BAU fordert ein Umdenken in der Rentenpolitik. Gerade in den Bauberufen gebe es relativ viele ALG II-Bezieher vor Rentenbeginn und entsprechend hohe Einbußen bei den Altersbezügen, weiß Martin Brussig vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Dies betreffe nicht nur un- und angelernte Berufsgruppen, sondern auch Maurer, Straßen-, Tief- und Betonbauer, von denen fast 20 Prozent vor Erreichen des Rentenalters in Hartz IV fallen. »Für Baubeschäftigte bedeutet das vorzeitige Aus im Job Armut für den Rest ihres Lebens«, erklärt IG BAU-Chef Klaus Wiesehügel.

Seine Gewerkschaft stellte diese Woche ihr Konzept für flexible Übergänge aus dem Berufsleben in die Rente vor, damit Beschäftigte auch bei starker körperlicher Belastung möglichst lange in ihrem Beruf arbeiten können. Angestrebt wird eine Branchenlösung, die sich am Kurzarbeitergeld für Bauberufe orientiert, mit dem saisonal bedingte Ausfallzeiten ohne Verlust des Arbeitsplatzes überbrückt werden. Das sogenannte Altersflexi-Geld soll gezahlt werden, wenn ein Beschäftigter aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit nicht mehr im vollen Umfang ausführen kann. Die Zahlung soll nur erfolgen, wenn es keine betrieblichen Alternativen gibt und andernfalls eine Kündigung aus gesundheitlichen Gründen drohen würde. Als maximale Bezugsdauer sieht der Vorschlag fünf Jahre vor. Finanziert werden soll die Leistung aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit, aus Bundesmitteln sowie durch einen tariflichen Umlagefonds der Bauwirtschaft.

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