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Beethoven auch mit Hartz IV

Reale Konkurrenz: Neben dem sperrigen Bildungspaket gründen sich immer mehr Kulturtafeln

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einem Bildungspaket wollte die Bundesregierung den Kindern von Hartz-IV-Familien helfen, die Hürden zu Nachhilfe und Kulturangeboten zu überwinden. Doch während dort die Mittel nicht ausgeschöpft werden, gibt es immer mehr sogenannte Kulturtafeln, die neben Brot und Gemüse auch Theaterkarten weitergeben.

Auf dem Programm des Georgischen Kammerorchesters Ingolstadt steht an diesem Abend um 20 Uhr die Sinfonie Nummer 2 in D-Dur von Beethoven, das Streichquartett Nr. 5 und die Weltmusik »Force of Nature« - ein Cellokonzert. Die Eintrittskarten kosten zwischen 19 und 32 Euro. Ein dicker Happen für denjenigen, der mit 382 Euro für den ganzen Monat auskommen muss, davon Butter, Waschpulver und die anderen Dinge des täglichen Bedarfs kaufen muss. Hier hilft seit rund 14 Jahren die Ingolstädter Tafel aus und verteilt Lebensmittel an Bedürftige mit Nachweis, meist also Personen, die von Hartz IV oder der Grundsicherung im Alter leben müssen. Und neuerdings verteilt die Ingolstädter Tafel auch Karten. Für das Theater oder Konzerte im Konzertverein, Stadtmuseum oder eben des Georgischen Kammerorchesters. Für dessen Konzert hat die Tafel fünf Karten vergeben.

»Das ist doch eine phantastische Idee«, sagt Sybille Hertel, zweite Vorsitzende des Ingolstädter Tafelvereins, zur kulturellen Hilfe für die rund 1500 Menschen in der Audi-Stadt, die jede Woche das Angebot der Tafel in Anspruch nehmen. Zurück geht das Ganze auf eine Anregung der CSU-Stadträtin Eva-Maria Atzerodt. »Eintrittskarten für Theater, Konzerte, Sportveranstaltungen oder Kinovorstellungen in Ingolstadt, die nicht verkauft werden können, verfallen bislang«, erläuterte die kulturpolitische Sprecherin der CSU-Fraktion die Idee. »Nach dem bekannten Prinzip der Tafel könnten diese Karten künftig im Rahmen einer Kulturtafel kostenfrei an Menschen mit niedrigen Einkünften verteilt werden«, so die Oberstudienrätin, die Musik unterrichtet und einen Chor leitet.

Der Ingolstädter Stadtrat hat nun diese Idee abgesegnet und dem Kulturreferat zur Realisierung übergeben. Dort tritt man jetzt in Kontakt mit den örtlichen Kulturträgern und Veranstaltern und sammelt Eintrittskarten.

Die werden wiederum an die Tafel weitergegeben. »Momentan haben wir ein Kontingent von 35 Karten«, sagt die stellvertretende Vorsitzende. Darunter sind auch Karten für das Ingolstädter Theater, dort steht die Komödie »Ein Klotz am Bein« auf dem Programm, die »Preisgruppe A« beginnt mit zehn Euro für den Eintritt. Das verfügbare Kartenkontingent wird auf einer Liste vorgestellt, und die »Kunden« der Tafel können ihr Interesse anmelden. Da man erst am Anfang stehe, habe man noch wenig Erfahrung mit der Nachfrage, heißt es. Theaterkarten aber scheinen begehrter als Konzertkarten zu sein. Es gibt auch Karten für Stadtführungen durch Ingolstadt, die Verwaltung solle zudem prüfen, was sonst noch an kulturellen Angeboten vermittelt werden könne.

Derlei Kulturtafeln gibt es in Bayern zum Beispiel bereits in Bamberg, dort wird sie von der Diakonie und dem evangelisch-lutherischen Dekanat organisiert. Und bundesweit, wie in Zwickau oder in Marburg, und mit unterschiedlichen Trägerorganisationen und Zielsetzungen. Gemeinsam ist die Idee, neben Lebensmitteln auch Kultur kostenlos zur Verfügung zu stellen.

»Nein«, sagt Tafelbetreiberin Sybille Hertel in Ingolstadt, man sehe sich nicht als Entlastung des Staates von seiner Fürsorgepflicht. Und zeigt sich gleichzeitig froh, dass mit der Kulturtafel auch die Schüler der Hartz-IV-Familien nun Theater- oder Konzertkarten erhalten könnten.

Diesem relativ unkomplizierten Verfahren steht das bürokratische Prozedere beim Bildungspaket der Bundesregierung entgegen, das mit Anträgen und Bewilligungen arbeitet. So wurde bisher ein Großteil der zur Verfügung stehenden Mittel noch nicht abgerufen, in Bayern sind das zum Beispiel immerhin 22 von 50 Millionen Euro in 2012.

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