Für eine halbe Ente

Wulff & die Wirtschaft

  • Jörn Schulz
  • Lesedauer: 2 Min.

Selbst die höchsten politischen Ämter könnten als Teilzeitstelle ausgeschrieben werden, wenn ihre Inhaber auf Dienstleistungen für Unternehmer verzichten würden. Dieser Eindruck drängt sich nach dem Abschluss der Ermittlungen gegen Christian Wulff auf. Dass die »freie Wirtschaft« auf staatliche Protektion nicht verzichten mag, war bekannt. Interessant ist jedoch, mit welcher Sorgfalt Wulff darauf achtete, dass Unternehmer sich auch mit kleinen Anliegen jederzeit vertrauensvoll an ihn wenden konnten. Nicht immer ging es um Profit. Auch ein Unternehmer lebt nicht vom Geld allein, er wünscht sich Anerkennung für das, was er als seine Leistung betrachtet. Er möchte zum Beispiel einem anderen Unternehmer sagen können: »Ich muss unser Tennisspiel leider absagen, ich gehe an diesem Tag zum Sommerfest des Bundespräsidenten.« Ein Autohändler, der eine solche Einladung erhielt, hatte Wulff zuvor ein Bobby-Car für dessen Sohn zustellen lassen.

Ob Wulff 2008 nicht wusste, dass David Groenewold einen Teil seiner Hotelrechnung in München beglichen hat und ob die Wulffs auf Groenewolds Kosten beim Oktoberfest so viel gebechert und gespeist haben, dass es für ein Korruptionsverfahren relevant ist, wird das Gericht entscheiden. Vielleicht hätte Wulff den Brief an Siemens, in dem er um Finanzhilfe für einen Film Groenewolds bat, auch geschrieben, wenn dieser ihm keine halbe Ente spendiert hätte. Denn der damalige niedersächsische Ministerpräsident glaubte wohl, so etwas gehöre zu seinen Dienstpflichten.

Daher ist es befremdlich, wenn viele Medien nun die »Kampagne« gegen Wulff kritisieren, weil es ja nur noch um 700 Euro gehe, während schikanöse Verfahren gegen Erwerbslose gutgeheißen werden, auch wenn diese sich um weit weniger als knapp zwei monatliche Hartz-IV-Regelsätze bereichert haben sollen. Doch im Fall Wulff ist nicht die juristische Ebene entscheidend. Dank gebührt den journalistischen Rechercheuren und der Staatsanwaltschaft dafür, dass sie ein Sittengemälde des politischen Geschäfts präsentieren und erkennen lassen, wie sich in Deutschland die sogenannte Elite konstituiert.

So versammelte ein Unternehmer 2009 beim »Nord-Süd-Dialog« Geschäftsleute, Politiker und Sportler, die sich einmal mehr gegenseitig versichern konnten, wie bedeutend sie sind. Dass Wulffs damaliger Sprecher Olaf Glaeseke jubilierte, eine Universität werde 44 »Jungs und Mädels (sollen alle sehr gut und attraktiv sein) für Nord/Süd kostenfrei zur Verfügung stellen«, ist unabhängig vom späteren Streit um die Rechnung aufschlussreich für das Verständnis von »Public-Private Partnership«. Ebenso aufschlussreich ist es, dass 20 von 21 untersuchten Lobbyarbeiten Wulffs sich als strafrechtlich nicht relevant erwiesen haben. Solche persönlichen Dienstleistungen für Unternehmer sind legal und erwünscht. Nur sollen sie kostenlos erbracht werden.

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