Wenn der Motor heult und die Vögel schreien

Senatsverwaltung und Akustikgesellschaft wollen Lautstärke in Berliner »Lärmghettos« runterdrehen

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Luft ist stickig und drückt auf die Brust. Links startet ein Sportwagen, rechts brummt ein Motorrad lautstark vorbei. Mittendrin: eine kleine Gruppe, die sich ungewöhnlich lange auf der Verkehrsinsel Yorckstraße, Ecke Großbeerenstraße aufhält. Hinter ihnen steht eine lange Reihe wartender Autos, vorn versperrt ein riesiger LKW die Sicht.

»Das war beängstigend«, wird eine der Teilnehmerinnen beim »Lärmspaziergang« später sagen. Der Arbeitsring Lärm der Deutschen Gesellschaft für Akustik (ALD) und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hatten zum Besuch Kreuzberger Verkehrsbrennpunkte eingeladen.

Ausgemacht wurden die Lärmzonen in einer Onlineumfrage, in der Anwohner auf Probleme hinweisen konnten. »Bürgerbeteiligung ist eine wichtige Hilfe für uns«, sagt Jörg Kaptain von der Senatsverwaltung - schon bei der ersten Version des Berliner Lärmaktionsplans 2008 und nun auch bei seiner Weiterentwicklung. Innerhalb der Kampagne »Leises Berlin«, zu der auch die Befragung und der Lärmspaziergang gehören, erarbeiten Kaptain und seine Kollegen derzeit einen Bericht. Bis August wollen sie die nächsten Maßnahmen entwickelt haben, wie städtischer Krach vermieden werden kann.

300 000 Menschen in Berlin leiden unter Lärm oberhalb der Schwellenwerte, wie sie im Gesundheitsschutz festgelegt sind. Das sind zwar 40 000 weniger als 2008. Trotzdem sei noch viel zu tun, betont Kaptain.

Immerhin waren 2012 berlinweit nur noch 300 Menschen dem höchsten Dauerlärm von über 70 Dezibel (dB) ausgesetzt, vor vier Jahren waren es noch 1400. Unbedenklich sind unter 50 dB. Schon ab einer Dauerbelastung von etwa 60 dB erhöht sich das Herzinfarktrisiko, es kann zu Schlafstörungen und Kreislaufproblemen kommen. »Lärm gehört zum Stadtbild dazu«, meint Kaptain. »Wenn er aber ununterbrochen auftritt und auch nachts, dann wird er gefährlich.«

Die Gründe für den ungesunden Krach sind vielfältig. Der meiste entsteht durch den Straßenverkehr. Aber auch Baustellen, Trams, die S-Bahn und der Flughafenverkehr sorgen für einen hohen Geräuschpegel. Sogar Vögel können dazu beitragen: Sie passen sich der Lautstärke der vorbeifahrenden Autos an. Zehn bis 15 dB lauter kann so eine bereits belebte Straße werden.

Anders als Nachbarschaftslärm, über den sich fast ebenso viele beklagen, lässt sich die tägliche Belastung im Straßenverkehr nicht im Einzelfall klären, sagt ALD-Vorstizender Michael Jäcker-Cüppers. Hier müssten Stadtentwicklungskonzepte her. Denn der hohe Geräuschpegel sei auch ein soziales Problem: Ganze »Lärmghettos« entstünden, wenn in den günstigeren, aber stärker verschmutzten und lauten Krisenorten nur sozial Benachteiligte wohnen.

Effektiv ist etwa lärmarmer Asphalt, wie er in der Gneise-naustraße benutzt wurde, erzählt Kaptain. In der Prinzenstraße habe es geholfen, aus einer zweispurigen Fahrbahn eine einspurige mit Fahrradweg zu machen. So rücke die Lärmquelle von den Gebäuden weg und das Fahrradverkehrssystem werde gestärkt. »Wir sehen die Straßen als Netze«, so Kaptain. Jede Maßnahme habe Auswirkungen auf die gesamte Stadt. Mit einzelnen Projekten habe man es geschafft, dass in den letzten Jahren immer mehr Berliner auf Fahrrad und Nahverkehr umgestiegen sind.

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