In die andere Richtung

Tagung »Reizland DDR« spürt den Biografien emigrierter Schriftsteller nach

  • Kai Köhler
  • Lesedauer: 4 Min.

Die DDR gilt als das Land, aus dem die Bewohner in die Bundesrepublik geflüchtet sind. Weniger bekannt ist, dass wohl etwas mehr als eine halbe Million Menschen die umgekehrte Richtung einschlugen und aus dem Westen in den sozialistischen Staat zogen. Unter ihnen waren auch zahlreiche Schriftsteller. Ihr Schicksal und das ihrer Werke war Thema der Tagung »Reizland DDR«, die im Literaturforum im Brecht-Haus in Berlin und an der Universität Potsdam zur Feier des Potsdamer Germanisten Helmut Peitsch, der 65 Jahre alt wurde, stattfand.

Am ersten Tag lag der Fokus auf den West-Ost-Wechseln vor 1961. In seiner einleitenden Rede skizzierte der Potsdamer Historiker Bernd Stöver die Rahmenbedingungen der Übersiedlung in die DDR. Die Gründe der Migranten waren vielfältig und häufig privat: Familie, Liebe, aber auch Probleme im Westen mit Schulden oder drohender Strafverfolgung. Eine starke Minderheit von etwa 40 Prozent kam, allerdings aus im weitesten Sinne politischen Gründen: aus kommunistischer Überzeugung oder beeinflusst von Informationsschriften der DDR, die Recht auf Arbeit und Wohnung sowie politische Mitbestimmung versprachen.

Die Bundesrepublik aus rein ökonomischen Gründen zu verlassen, klingt im heute herrschenden Diskurs absurd. Doch herrschten bis weit in die 1950er Jahre auch im Westen Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit und war die politische Repression mit KPD-Verbot und den ungebrochenen Karrieren einstiger Nationalsozialisten unverkennbar.

Allerdings konnte die DDR ihre Versprechungen nicht immer halten. Stöver geht davon aus, dass etwa ein Drittel der Ankömmlinge vor dem Mauerbau 1961 in den Westen zurückkehrte. Aus Historikersicht gilt jedenfalls alles als normal: die ökonomischen Hoffnungen als Motiv eines Wechsels, seien sie nun realistisch oder nicht und die überwiegend jungen Männer, die durch keine familiären oder beruflichen Festlegungen an ihre alte Heimat gebunden waren.

Die Schriftsteller passen nicht ganz in dieses Muster. Es macht keinen großen Unterschied, ob man im Osten oder Westen einen Schrank zusammentischlert. Wer aber schreibt, hat es mit Inhalten zu tun; mit Inhalten zumal, die gerade in einer hochpolitisierten Welt wie der des Kalten Kriegs kaum je unpolitisch sind. Entsprechend komplex gestalteten sich die Lebenswege der in die DDR eingewanderten Schriftsteller.

Die Ausgangslagen und sogar die Herkunftsländer waren dabei durchaus unterschiedlich. Lenore Krenzlin zeigte, wie der junge Biermann, als er im Mai 1953 in die DDR kam, auf die Protektion Margot Honeckers setzen konnte, was manche seiner ungewöhnlichen Freiheiten zu Beginn der 60er Jahre erklärt. War für Biermann zum Zeitpunkt der Übersiedlung eine Laufbahn als Schriftsteller noch gar nicht absehbar, so hatten die deutlich älteren Fred und Maxie Wander in Österreich bereits veröffentlicht, blieben aber dort auf das enge Umfeld kommunistischer Zeitungen beschränkt. Für diese beiden bedeutete das Deutsche Literaturinstitut Leipzig eine einzigartige Chance, ihr Schreiben weiterzuentwickeln und theoretisch zu untermauern. Der deutlich jüngere Adolf Endler hingegen hatte sich, wie Peter Geist erklärte, vor seiner Übersiedlung mit der westlichen Avantgarde beschäftigt und war vom Leipziger Angebot - sieht man vom Unterricht des Lyrikers Georg Maurer ab - enttäuscht.

In die DDR kamen aber auch etablierte Schriftsteller wie Arnolt Bronnen, der seine letzten vier Lebensjahre dort verlebte oder später Joachim Seyppel, dessen komplizierte Übersiedlung Anfang der 70er Jahre von Roland Berbig nachgezeichnet wurde. Vielfach spielten Probleme, sich auf dem westlichen Literaturmarkt zu behaupten, eine Rolle.

Kaum jemals war Politik bedeutungslos. Fast alle der Übersiedler hatten auf irgendeine Weise Bezüge zu kommunistischen Parteien gehabt. Das gilt auch für die junge Amerikanerin Edith Anderson, die ihrem Mann aus dem Exil nach Berlin folgte und in den folgenden Jahrzehnten eine rege Tätigkeit als Übersetzerin, Journalistin, Schriftstellerin und Herausgeberin entfaltete.

Wurden die Übersiedler glücklich? Die meisten nicht. Seyppel enttäuschte bereits das mehrjährige Übersiedlungsverfahren, Anderson wie Bronnen sahen trotz vieler Publikationen ihre literarischen Ziele nicht erreicht. Endler und Biermann wandelten sich zu entschiedenen Kritikern der DDR. Welche neuen Konflikte auftraten, verdeutlichte die Lesung am Freitagabend. Thomas Keck und Thomas Neumann trugen aus dem Briefwechsel zwischen Heinar Kipphardt und Peter Hacks vor, zwei Übersiedler, von denen Kipphardt sich 1959 zu einer Übersiedlung in die Bundesrepublik gezwungen sah, Hacks jedoch über 1989 hinaus ein entschiedener Verteidiger der DDR blieb.

Der folgende Tag war dann den wenigen Künstlern gewidmet, die wie Gisela Kraft oder Ronald M. Schernikau in den 70er und 80er Jahren übersiedelten.

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