nd-aktuell.de / 07.05.2013 / Gesund leben / Seite 17

Köpfchen, Köpfchen

Geistige Beschäftigung diszipliniert - ist das Ergebnis einer Studie

Walter Schmidt
Wer sich den Kopf zerbricht, widersteht abträglichen Versuchungen leichter. Doch diesen Schutz muss man rechtzeitig aufbauen, bevor leckeres Essen oder Spiele im Internet locken.

Sich geistig anzustrengen, klingt nicht gerade reizvoll. Doch vielleicht erwägt der eine oder die andere nun doch, öfter einmal Schach zu spielen oder ein tiefgründiges Gespräch zu führen. Denn auf diese Weise das Gehirn zu beschäftigen, kann einen davor hüten, zur nächsten Tafel Schokolade zu greifen oder im Büro Zerstreuung auf den eher bunten Seiten des weltweiten Netzes zu suchen. Das haben holländische Psychologen um Lotte van Dillen von der Universität Leiden kürzlich herausgefunden. Ihre Befunde stehen nur scheinbar im Widerspruch zu früheren Studien, nach denen gerade Kopfzerbrechen dazu verführt, ablenkenden Reizen nachzugeben. Doch offenbar kommt es darauf an, sich rechtzeitig geistig zu betätigen - nämlich bevor eine Verlockung wirksam werden kann. Vorsorge tut also not, wenn man sein Verhalten besser selbst steuern können möchte.

Gemeinsam mit ihren Forscherkollegen Esther Papies und Wilhelm Hofmann erhärtete van Dillen ihren schon länger gehegten Verdacht durch vier Experimente mit Studierenden. Im ersten davon mussten die Versuchsteilnehmer am Rechner Bilder mit Lebensmitteln einer bestimmten Position zuordnen. Darunter waren verlockende Süßigkeiten wie ein Stück Schokoladenkuchen, aber auch weniger verführerische wie ein Rettich. Manche Testpersonen waren dazu angehalten, während des Versuchs im Stillen eine komplizierte Zahl mit acht Ziffern zu wiederholen, um sich später daran erinnern zu können. Wie man sich leicht vorstellen kann, beanspruchte sie das geistig sehr. Andere Versuchsteilnehmer hatten lediglich eine Zahl mit einer Ziffer zu behalten, was sie kaum forderte.

Das Resultat: Jene Probanden, die sich geistig sehr anstrengen mussten, ließen sich von schmackhaften, aber eher ungesunden Speisen nicht länger beeindrucken als von weniger attraktiven und schafften es, beide ähnlich schnell zuzuordnen. Das gelang den anderen Testpersonen nicht; sie betrachteten beispielsweise den Kuchen länger als das Gemüse, bevor sie reagierten. Genau diese Aufmerksamkeit für eine Attraktion ist das Einfallstor dafür, sich zum Naschen verlocken zu lassen. Wer diese Erkenntnis im Alltag umsetzen möchte, kann sich zum Beispiel in der Betriebskantine rechtzeitig vor Erreichen des Mittagsbuffets nach einem Gesprächspartner umsehen, mit dem man sich bekanntermaßen angeregt über anspruchsvolle Themen unterhalten kann und gemeinsam mit ihm die Speisenauswahl abschreiten. Wenn es klappt, was die niederländischen Forscher herausgefunden haben, dürfte man dann weniger ungesundes Essen auf das Tablett packen, als betrachtete man das Angebot am Buffet allein und in aller Ruhe, ohne das Gehirn sonderlich zu beschäftigen. Auf diese Weise räumt man verlockendem Essen wie einem süßen Nachtisch auf seinem Tablett buchstäblich weniger Raum ein.

Ganz ähnlich wirkten sich auch die übrigen Experimente aus. So griffen zum Beispiel Vielesser seltener zu ungesunden Leckereien wie Marzipan, wenn sie sich die lange Zahlenfolge merken mussten. Stattdessen wählten sie öfter gesunde Lebensmittel wie einen Apfel.

Sogar attraktive Frauen verlieren einen Teil ihres Reizes auf Männer (zumindest auf die am Test ausschließlich teilnehmenden männlichen Studenten), wenn diese sich rechtzeitig zuvor geistig betätigen mussten. Schuftet das Hirn, scheinen hübsche Frauen es weniger zu kümmern. Zumindest schauten sich die Studenten unter geistigem Stress die Porträts reizvoller Frauen nicht länger an als jene von weniger attraktiven Damen. Und was ist daraus zu lernen? Ehefrauen, die ihren Gatten immun gegen weibliche Reize machen möchten - oder zumindest weniger anfällig dafür -, können ihrem Liebsten vor mehrtägigen Dienstreisen einen Packen kniffliger Rätsel mit auf den Weg geben. Sie müssen dann allerdings hoffen, dass er sie unterwegs auch fleißig löst, vor allem abends nach vollbrachter Arbeit.