Morgen früh. Neun Uhr

»Der gute Tod« von Wannie de Wijn am Theater Vorpommern in Stralsund

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn einer sagt, ich trinke lieber mit dem Tod ein Glas Sekt, dann ärgert das viele.

ERNST JÜNGER

Der Tod? Nein, sagt Ben, »der Tod ist eure Sache. Meine ist das Sterben. Morgen früh, neun Uhr.« Sterbehilfe, zwei Spritzen. Am Bett die Familie - mit der zusammen der Lungenkrebskranke den Tag zuvor, den Daseinsletzten, verbringt.

Eine Familie, zerrissen und zerschlaucht wie das Leben. Wie jedes Leben. Ins Haus drängt also der landläufige Themenkatalog: Missgunst, Unverträglichkeit, Entfremdung, Eifersucht. Paarungen, Trennungen. Alles durch, alles dabei. Man redet aneinander vorbei, aber irgend wen trifft das jeweils falsche Wort garantiert an der richtigen Stelle. Und es gibt einzig nur falsche Worte in der Fassungslosigkeit. Im Unvermögen, der offen anvisierten Sterbestunde eines nahen Menschen das Vorspiel zu geben. Verstocktheiten und Verklemmungen. Wo man leise sein will, wird man automatisch zu laut. Wer aufheitern möchte, verschluckt sich am Krampf. Der todesnahe Ben wird rauchen, Whisky trinken - nichts kann komischer sein, als in diesen Momenten vom befreundeten Arzt zu hören, das sei wirklich schädlich.

»Der gute Tod« heißt das Stück des Niederländers Wannie de Wijn. Etwas Yasmina Reza, etwas Neil Simon, etwas Arthur Miller. Boulevard und wahr. Die Komödie platzt in die Trauer, im Witz wimmert ein Weinen. Hannes Hametner inszenierte das derzeitige Erfolgswerk auf deutschen Bühnen am Theater Vorpommern, im Großen Haus in Stralsund. Giovanni de Paulis baute Versatzstücke kalter wohlhabender Wohnmoderne, ganz hinten ein hoher Baum. Wie Arkadien, aber auch nur ein Abstraktum - wie jeder zu späte Vorsatz vom endlich schönen, freien, stresslosen Leben. Regen plätschert seine obligaten Takte Melancholie.

Sieben Menschen seufzen sich durch die Erinnerung, plappern gegen die Verlegenheit, plaudern gegen das Unsägliche, tanzen auf ihrer Traurigkeit herum, lachen die Tränen, die die das heulende Elend in die Augen treibt. Es ist erstaunlich, wie da vorn eine aufgeladene Stimmung, getaucht in die Dämmstoffe einer künstlichen Normalität, sich mählich verdichtet - zu einem atmosphärischen Nebel, der von der Bühne heranweht, ins Gemüt sickert. Das Stück läuft, und in dir spielen die Assoziationen mit ganz persönlicher Besetzung: Was wäre, wenn ...

Die Suggestion des Tiefernsten, die man angesichts der Komödie zunächst für undenkbar hält, wird irgendwann unglaublich stark. Diese überfordernd präzise Setzung der Sterbestunde. Diese Trauergemeinde, die keine sein will, und der so bitter Geweihte: He, Leute, ich lebe noch! Diese Unfassbarkeit eines greifbaren Abschieds für immer. Ist das Dasein doch im Grunde ein Traum, der Dauer wünscht, und einmal, für Minuten allein, müht Ben sich um einen Schrei, der klingen soll, als schicke das energisch fragende Leben diesen Schrei hinauf zum Himmel: »Warum?! Warum ich?!« Da fragt aber keine Energie, die Antwort einfordert, da kräht ein Rest, der weiß, dass es keine Antwort gibt. Der Tod ist ein Zocker und gewinnt immer. Und die letzte Kraft der Bejahung gehört nur noch jenem Geist, der klar entschieden hatte: morgen, neun Uhr.

Marco Bahr ist dieser schmächtige, halmdünne Ben: einknickende, sich schon verflüchtigende Anwesenheit, darin aber eine souveräne Beherrschtheit - Bahr spielt das mit großer, unsentimentaler Erfassenstiefe. Susanne Kreckel als Bens Tochter Sam: Stellvertreterin aller, die so eine Situation nicht durchstehen können - das Erlebnis Sterben als unzumutbares Ritual.

Katja Steuer als Hannah, Bens Vertraute, eine sich resolut und bestimmerisch Kümmernde, immer in Gefahr, als nutznießerische Erbin zu gelten - Katja Steuer hält das in überzeugender Spannung zwischen innig fühlendem und kalkuliert gefrorenem Herzen. Markus Voigt platzt herein als Bens Bruder, ein Party-Polterer, ein Beziehungs-Abrechner, top im erfolgreichen Business und im groben Genießen; der emotionalen Überwältigung wird er begegnen wie einer Infektion.

Alexander Frank Zieglarski gibt den Part des kleineren, autistischen Bruders; und er, den Gewöhnlichkeiten der Existenz krankhaft entrückt, stellt die ungeschönten, gesunden, ehrlich bedrängenden Fragen: Warum das? Ben, willst du das wirklich? Darf man das tun? Wo die kleine Gesellschaft sich an Oberflächen der Zeitüberbrückung berauscht, da stapft er zum Klavier, spielt, ist wesentlich. Und Lutz Jesse ist der befreundete Arzt, der Ben das Leben nehmen wird: höfliche Zurückhaltung, manchmal ein kumpliger Vorstoß - plötzlich der Zusammenbruch unter der Last, ein Gezerrter zu sein, zwischen Erlösendem und Tötendem.

Hametners bewegende Inszenierung führt Menschen zusammen und durchbricht doch nicht die Isolation, in die ein fremdes Sterben unweigerlich jeden Einzelnen führen muss. Erschöpfung und Erregung, Betäubung und Verlangen, Resignation und Irritation wühlen gegeneinander.

Der gute Tod, griechisch: Euthanasie. Das Wort fällt mehrfach. Es darf nur schwer nach seinem Ursprung klingen, gekettet an eine grausame Erfahrung der Geschichte.

Vielleicht versöhnt jede weiterlaufende Zeit mit dem Tod, hier versöhnt der Tod mit der Zeit - die doch nur npch eine elende Frist sein würde.

Nächste Vorstellung in Stralsund: 11. Mai, Premiere in Greifswald: 25. Mai

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